Vom Kampfkunsttraum in Laos zum 1. HG im Newman-Escrima
Bereits als kleiner Junge war ich von Kampfkunst fasziniert. In meiner Heimat Laos hatten Kampfkünste zwar Tradition, waren aber im alltäglichen Leben innerhalb eines kleinen Dorfes keineswegs an jeder Ecke zu finden. Der Alltag dort war geprägt vom jahreszeitlichen Ablauf und davon, seine Familie ernähren zu können. Freizeit im eigentlichen Sinne war den Jugendlichen und Erwachsenen fremd.
Abgesehen also von kindlichen wilden Spielen mit abgebrochenen Stöcken im Wald, gab es kaum Möglichkeiten dieser Leidenschaft zu verfrönen. Zwar trafen wir uns als Jungs gelegentlich und „trainierten“, das was wir irgendwo aufgeschnappt hatten oder sich als wirksam erwiesen hatte. Von einem strukturierten Unterricht konnte allerdings nicht die Rede sein.
Das trotzdem eine Begeisterung dafür aufkommen konnte, lag letztlich am alten Schwarz-Weiß-Fernseher eines Nachbarn. Damals besaßen wir selbst keinen eigenen. Es gab nur den ein oder anderen im Dorf, der sich diesen Luxus leisten konnte. So waren also meine ersten Berührungen mit fernöstlichen Kampfkünsten jene lokal ausgestrahlten Thai-Box-Kämpfe im Fernseher der Nachbarschaft.
In der Schule im Dorf kam es an einem Tag, der mir noch gut in Erinnerung ist, zu einem heftigen Kampf zwischen zwei Mitschülern auf dem Hof. Der Unterlegene lag letztlich blutend auf dem Boden. Ich wollte nicht, wie er dort im Dreck liegen, und träumte davon, mich – eben wie jene Kämpfer im Fernsehen – professionell verteidigen zu können. Wahrscheinlich sind es die Träume jedes kleinen Jungens – egal, ob er von irgendwelchen Hollywood-KungFu-Filmen oder lokalen Wettkämpfen inspiriert wird.
Im Anschluss ging ich auf die weiterführende Schule in der Hauptstadt Vietiane. Dort gab es viele laufende Fernseher in den Geschäften. Ich habe oft gebannt zugesehen, wenn dort Wettkämpfe übertragen wurden. Nicht selten wurde ich vom Geschäftsbesitzer hinausgeworfen, weil ich allzu lang davor lagerte.
Die erste wirkliche Möglichkeit an einem Kampfkunstunterricht teilzunehmen, ergab sich erst viel später. Ich sollte im Rahmen meiner Militärlaufbahn in die Tschechoslowakei versetzt werden. Für mich eröffnete sich damit eine völlig neue Welt.
So war es ein Karate-Kursus, der für mich den Einstieg in die echte Kampfkunstwelt bedeutete. Dort trainierte ich nur einige Monate. Ich fand in dem Wettkampfregelwerk irgendwie nicht das, was ich mir vorgestellt hatte.
Als mein Weg mich letztlich nach Deutschland führte, entdeckte ich einen Werbe-Flyer für eine WingTsun-Schule in Soest. Das klang vielversprechend und war nicht weit entfernt von meiner Wohnung und Arbeitsstätte. Der Probeunterricht bestätigte mein Interesse und so meldete ich mich dort in der Schule an. Zwei Jahre lang trainierte ich dort regelmäßig. Es führte mich zum 6. Schülergrad EWTO-WingTsun. Leider verlor ich meinen damaligen Arbeitsplatz, weshalb ich mit meiner Familie nach Hennef umzog, wo ich einen neuen Arbeitsplatz gefunden hatte.
Glücklicherweise fand ich dort die EWTO-Schule von Sifu Dirk Peffekoven, wo ich sofort freundlich aufgenommen wurde. Bis zum achten Schülergrad im WingTsun trainierte ich – manchmal mehrfach wöchentlich – in den Schulen Hennef und Overath.In Overath wurde auch Newman-Escrima angeboten und ich merkte schnell, dass mir der aufeinander aufbauende Unterrichtsstoff und die stets praxisnahen Übungen noch mehr Spaß machten. Den Unterricht macht – damals wie heute – Tom Theren. 2004 war ich zum ersten Mal dabei und bin seitdem sein Schüler. Obwohl häufig als reine Waffenkampfkunst beschrieben, ist hier ein wahrer Selbstverteidigungsschatz verborgen – gerade auch im waffenlosen Bereich. Auf meinem Weg bis zum 1. Höheren Grad ging es vom ersten Augenblick an um praktische Anwendbarkeit und purem Angriff: gedeckter keilförmiger Gegenangriff anstelle von passiver Verteidigung.
Auch der Spaßfaktor kam und kommt nie zu kurz. Keine strengen Verbeugerituale oder militärische Kommando-Atmosphäre, Lachen ist erlaubt. Im alltäglichen Arbeitsablauf und im Leben selbst gibt es schon viel zu viele ernste Situationen. Hier im Unterricht verbringe ich meine freie Zeit gern. So gern, dass auch mein erneuter Umzug vor zehn Jahren ins 60 Kilometer entfernte Kerpen, mich nicht davon abhält, hier zu bleiben und weiterzutrainieren.
Die Struktur, die stets und durch alle Schülergradprogramme zieht, gibt mir Sicherheit und ein Back-up beim Lernen. Sind es auch beim ersten Blick auf die zwölf verschiedenen Schülergrade viele Formen, sieht man bei genauer Betrachtung, dass es doch eigentlich nur eine einzige ist. Die Transition (Übertragbarkeit) auf die einzelnen Waffen und die allzeit bestehende Möglichkeit, es auch ohne Waffen – unter Beibehaltung derselben Prinzipien – umzusetzen, ist für mich ein sehr wichtiges Kriterium.
Großes Glück ist, dass das Escrima-Meisterteam und sogar Master Bill Newman persönlich regelmäßig in der Schule in Overath zu Gast sind und eindrucksvoll zeigen, wie effektiv das System ist. Ich versuche, stets dabei zu sein und nehme mir, wenn nötig sogar Urlaub.
Außerdem – ob auf meinen Weiterbildungen bei den Übungsleiter- und Trainerseminaren in Wiesenbach oder bei Meister Bernds Escrima intensiv – ich fand im Wesentlichen immer den Trainingsstoff wieder, auf den ich im Unterricht vorbereitet wurde.
Auch am 10. März 2018 war ich wieder dabei und erreichte an diesem Tag meinen 1. Höheren Grad im Newman-Escrima – von Master Bill persönlich abgenommen und überreicht. Das war für mich ein unglaublich tolles Ereignis!
Ich bin sehr froh darüber, wohin mich mein Weg bisher führte und sehr gespannt auf das, was noch kommt. Meine ursprüngliche Grundmotivation, nicht blutend auf dem Boden liegen zu wollen, beschmunzle ich heute sehr. Glücklicherweise ist diese Situation bislang ausgeblieben: vielleicht, weil man als ausgebildeter Kampfkünstler mehr Selbstbewusstsein ausstrahlt und kein Opfer mehr ist oder einfach aus purem Zufall. Aber eins ist klar:
Es wird da draußen nicht Mann gegen Mann und mit fairen Regeln gekämpft und letztlich gibt es immer einen Stärkeren.
Allen Lehrern der EWTO und Trainingspartnern, die mich bis hier gebracht haben, danke ich sehr und freue mich auf mehr.
Text: Somsangiem Pasamysay
Fotos: hm