Sicherheit

Neues vom Berliner Strafgericht (2): Der versuchte Raubüberfall im Bus

Stell’ dir vor, du fährst mittags im Bus und wirst von einer Gruppe junger Männer provoziert und binnen von Minuten eskaliert die Situation. Der folgende Fall schildert, wie eine solche Attacke im Bus vor Gericht enden und was man daraus lernen kann.

Am 11. Januar 2007 um 12.55 Uhr spielte sich folgendes Ereignis im Berliner Linienbus M29, der in Kreuzberg unterwegs war, ab. Im Oberdeck saß der 23-jährige Angeklagte Ahmed B., der mit drei seiner Kumpels junge Frauen auf dem Kieker hatte und sie mit Papierkugeln bewarf. Die Gruppe trat anderen Fahrgästen gegenüber laut und aggressiv auf.
Einer jungen Frau wurde es zu bunt. Sie stand auf und stellte die Gruppe zur Rede. Daraufhin wurden die jungen Männer handgreiflich, schlugen sie und versuchten, ihr die Handtasche zu entreißen. Dabei stürzte die Couragierte zu Boden. Der Inhalt ihrer Tasche verstreute sich über den Fußboden. Nun setzte sich der etwa 90 Kilogramm schwere Angeklagte auf die Frau, die auf dem Bauch lag, und drückte ihr Gesicht zu Boden. Einer seiner Kumpels nahm die Geldbörse der Geschädigten an sich. Anschließend flüchtete die Gruppe aus dem Bus. Ein Zeuge rief ihnen wegen der Geldbörse hinterher, die daraufhin im Gebüsch landete.

Die Frau trug Verletzungen im Gesicht, am Kiefer, Oberschenkel und Rücken davon. Jemand verständigte die Polizei. Sie konnte den Angeklagten als einzigen aus der Gruppe stellen. Dieser war bereits mehrfach vorbestraft und zweimal zu einer Bewährungsstrafe von je zehn Monaten wegen Betrugs, Diebstahl und Nötigung verurteilt. Im Zusammenhang mit Körperverletzung fiel er auch schon einmal auf, wurde aber wegen „Geringfügigkeit“ sowie milderer Jugendgerichtsbarkeit nicht verurteilt. Nach seiner Festnahme verriet er den Namen des Geldbörsenräubers, um damit auf eine mildere Strafe hoffen zu können. Der Angeklagte hatte einige Tage zuvor seine Haftstrafe wegen Bewährungsverstoßes im offenen Vollzug angetreten; das bedeutet: tagsüber sitzt er im Gefängnis und abends lebt er bei seinem Bruder in Kreuzberg. Im Gerichtssaal wirkte er abgebrüht, ruhig und antwortete auf die Fragen des Richters stets mit leiser, unterdrückter Stimme. Seinem verratenen Kumpel warf er schelmische Blicke zu.

Ein Fall von Aggro-Hip-Hop?
Ahmed B. stand mit diesem Verfahren erneut vor Gericht. Die Stimmung im Saal war konzentriert und ruhig. Gleich, nachdem der Anwalt des Angeklagten dessen Geständnis verlas, entließ der Richter alle Zeugen und verhängte später gegen den abwesenden Hauptbelastungszeugen ein Ordnungsgeld über 150 Euro. Staatsanwalt, Richter und Rechtsanwalt hielten jeweils längere Plädoyers, in denen immer wieder auf die läuternden Absichten des Angeklagten eingegangen wurde, ein neues Leben beginnen zu wollen. Schließlich habe er vorher nie mit Körperverletzungsdelikten zu tun gehabt. Dass er Mitglied einer Kreuzberger Aggro-Hip-Hop Band war, die mit martialischem, sexistischem Auftreten auf sich aufmerksam macht, interessierte das Gericht nicht. Bei der Urteilsverkündung ging der Richter auf die geschädigte Frau bzw. die Tat ein mit den Worten: „Das ist eine Schweinerei, das finde ich richtig mies, das sind keine Kleinigkeiten mehr.“ Man solle angesichts der zunehmenden Gewalt im öffentlichen Nahverkehr kein zu mildes Urteil verlangen. Schließlich meinte er zum Angeklagten: „Ich denke, Sie können sich heute in die Frau hineinversetzen.“ Der Angeklagte erhielt eine Gesamtstrafe von zwei Jahren - wieder auf Bewährung.

Was lehrt uns als WTler/innen dieser Fall?
Er ist typisch für die mangelnde Sicherheit in Berlins öffentlichem Nahverkehr. Eine solche Szene gehört zum Alltag. Gruppen junger Männer dominieren mit lauten Handys und Provokationen gegenüber anderen Fahrgästen das Klima in Bussen und Bahnen. In den einen Stadtteilen sind es mehrheitlich Jugendliche mit Migrationshintergrund, in anderen Bezirken sind es weiße Deutsche. Wer sich mit ihnen anlegt, muss eine klare Strategie, eine entsprechende Ausstrahlung und für den Notfall die Bereitschaft zur körperlichen Auseinandersetzung besitzen. Aber ist es der Job der anderen Fahrgäste, sich mit Randalierern auseinanderzusetzen?

Wer ist zuständig?
Im Bus ist der Busfahrer der „Hausherr“. Er ist mitverantwortlich für die Sicherheit der Fahrgäste und deshalb der erste Ansprechpartner. Es ist sein Job, die Randalierer zu ermahnen und die Polizei zu verständigen. Da Pöbeleien und lautes Machogehabe aber in Berlin zum Alltag in Bussen gehören, ignorieren die Busfahrer häufig Gefahrensituationen. Außerdem fürchten sie, selbst Opfer zu werden. Die herbeigerufene Polizei ist dadurch meist erst dann zur Stelle, wenn die Täter über alle Berge sind. Im anderen Fall können sie nur Ermahnungen oder Platzverweise aussprechen. Das wissen die Täter. Sie wissen auch, dass im schlimmsten Fall einer Gerichtsverhandlung sie mit ein wenig Theatralik und einer Läuterungsmiene mit milden Strafen rechnen können.

Zivilcourage in jeder Situation?
Demzufolge ist man letztendlich auf sich selbst angewiesen und muss versuchen, sich unangenehmen Situationen unmittelbar zu entziehen, wenn man nicht bereit ist, im Notfall sich körperlich zu wehren. Viele setzen Rückzug mit Feigheit gleich. Andere ärgern sich, dass pöbelnde Gangs im Nahverkehr das Sagen haben. Doch hilft der Idealismus in solch einem Fall wenig, wenn man versucht, verfehlter Sicherheits- und Sozialpolitik mit Zivilcourage entgegen zu wirken. Verbündete Fahrgäste findet man in den seltensten Fällen. So steht man alleine vor einer Gruppe, die nur darauf wartet, ihre Aggressionen auszuleben.

Die Frau übte Zivilgehorsam, indem sie aufstand und die Gruppe zur Rede stellte. Sie „pokerte“ hoch um ihre Gesundheit, da sie die Aggression der Täter unterschätzte und ihnen als Einzelne unterlegen war. Wahrscheinlich wird sie so schnell nicht mehr Bus fahren oder zumindest nicht mehr auf pöbelnde Jungmänner zugehen.
Der Hauptbelastungszeuge ist nicht vor Gericht erschienen; wahrscheinlich aus Angst vor Rache des Angeklagten und seiner bisher unbekannten Begleiter.

Auch als WTler/in sollte man genau abwägen, was es „wert“ ist, selbst den Job zu übernehmen, solche Leute in Grenzen zu weisen, oder dies an andere (Busfahrer und Polizei) zu delegieren. Erst, wenn sich keine andere Möglichkeit mehr bietet, muss man körperlich kämpfen. Mit anderen Worten: Ein vermiedener Kampf ist ein gewonnener Kampf. Das lernen wir bereits in den ersten WT-Unterrichtsstunden.

Sifu Oliver C. Pfannenstiel, 4. TG