Editorial

Männliches, allzu Männliches …

„Kein Ding gerät, an dem nicht der Übermut seinen Teil hat.
Das Zuviel von Kraft erst ist der Beweis der Kraft.“
Nietzsche

Während Fußballspieler und andere Männer (wahre Gentlemen aber nie) es gewohnheitsmäßig und unbewusst machen, wird es Frauen ein ewiges Mysterium bleiben – trotz der jetzt folgenden Erklärung: das unappetitliche Ausspucken und Auf-den-Boden-Rotzen des männlichen homo sapiens sapiens.

In der Interview-Phase des ritualisierten Kampfes – im Angelsächsischen oft „the Woof“ (das Anbellen, Anblaffen) genannt – geht es darum, das ausgeguckte Opfer so zu beeindrucken, dass es gar nicht zum immer risikohaften Kampf kommt bzw. ein solcher einseitig und damit für den Angreifer gefahrlos bleibt.
Ein besonders geeignetes Mittel, das der Aggressor zu diesem Zweck gerne einsetzt, ist das eklige Ausspucken vor sich auf den Boden oder gar das noch ekligere direkte Anspucken des Gegenübers.

Dieses Spucken hat zigtausend Jahre alte Wurzeln und dient zwei evolutionären Zwecken:
Erstens ist es eine Art, sein Revier zu markieren und bei Regenfall dauerhafter als Urinieren. Es zeigt einem frechen Eindringling: „Vorsicht, dies ist das Territorium eines besonders gesunden und kräftigen Männchens mit bakteriell unverfärbtem Speichel.“
Zweitens zeigt es einschüchternde Wildheit und Stärke und dies nicht nur, weil es einen unerhörten Bruch mit der Zivilisation darstellt.

Vor Aufnahme der eigentlichen Handgreiflichkeiten ist es normal, dass den meisten Beteiligten aufgrund des in ihnen wütenden Adrenalin-Cocktails der Mund austrocknet; es bleibt ihnen im wahrsten Sinne des Wortes die Spucke weg.
Unser „Aggro-Held“ aber beweist durch Absondern eines möglichst substantiellen Schleimproduktes, dass er „keine Angst hat“.
Noch mehr: Er demonstriert wie ein Neureicher durch Anstecken seiner Zigarette mit einem 20-Euro-Schein, dass er von der kostbaren Materie, Geld oder in unserem Fall Spucke, im Überfluss hat.
Vorher hat unser Schläger sein Opfer beschimpft und sich bemüht, ihm mündlich verstehen zu geben, dass es keine Chance hat. Das kann der andere glauben oder auch nicht. Nun liefert er nonverbale Beweise für diese Behauptungen. Indem er sich breitbeinig vor dem Gegner aufbaut, zeigt er z.B., dass seine Genitalien dem Fußtritt des Opfers widerstehen, mehr noch, dass der andere gar nicht wagt zu treten.
Mit dem Verschwenden des raren Speichels liefert der Schläger, ohne sich dessen bewusst zu sein, den letzten Beweis, dass er überhaupt nicht gestresst ist!
Ich beziehe mich hier auf eine 1975 von dem israelischen Biologen Amotz Zahavi aufgestellte Hypothese, um die in Fachkreisen offenbar immer noch erbittert gestritten wird. Da auch in der Natur getäuscht und betrogen wird, brauche es – nach Zahavi – einen untrüglichen Beweis. Der Löwe glaubt der Gazelle nämlich nicht a priori auf ihr Wort, dass sie so gesund und schnell ist, dass er sie nicht erwischt, denn auch in der Natur gibt es Lügner und Betrüger.
Stellt es sich erst bei der Verfolgungsjagd, die viele Kalorien sinnlos vernichtet, heraus, dass sie doch zu schnell für ihn war, haben beide ihre Energien verschwendet. Bewegt sich die
Gazelle aber zunächst aufreizend langsam statt sofort wegzulaufen und springt dafür mit steifen Beinen kraftvoll in die Höhe, zeigt sie damit. „Gib dir keine Mühe, ich habe Kraft im Überfluss. Such dir ein anderes Opfer!“ Was der Gazelle ihre graziösen Sprünge sind, ist das widerliche „Rumrotzen“ für den Mann: der Beweis des Überflusses, der die Anwendung der Ressourcen unnötig macht, Risiken vermeidet und letztlich eine Antithese zum Töten darstellt.

Anspucken des Gegners kann aber auch trotzige männliche Ohnmacht symbolisieren:
„Ich werde nie kapitulieren, auch nicht, wenn ich der Letzte bin. Sollte ich dem Feind in die Hände fallen, so bete ich um die Kraft, ihn anzuspeien.“ Motto der Special Forces