Wissenswertes

Lächeln ist die beste Waffe

Jet Li ist nicht nur im Film Kampfkunstexperte. Vor seiner Karriere im Kino gewann er fünf Mal hintereinander (1974 bis 1979) die nationalen Wu-Shu-Meisterschaften in China. Wir trafen Jet Li in Berlin anlässlich der Filmvorstellung von „Die Mumie – Das Grabmal des Drachenkaisers“, der am 11. Dezember auf DVD und Blu-ray erscheint.

WTW: In „Mumie 3“ spielen Sie den Bösewicht. Gefällt Ihnen die Rolle?

Jet Li: Das macht auf jeden Fall Spaß. Wenn du den Guten spielst, musst du es jedem Recht machen, hast viel Verantwortung. Ich mache das seit 28 Jahren und es ist nicht immer einfach. Deine Frau, deine Kinder sehen den Film. Als Guter musst du ehrenhaft sein, dich für Schwache einsetzen. Der Böse denkt nur an sich und das ist einfach: „Das Mädchen gefällt mir. Los, bringt sie mir!“

Was meinen Sie, wie Ihre chinesischen Landsleute darüber denken, dass Hollywood die chinesische Terrakotta-Armee zum Leben erweckt?

Ich glaube, das kommt darauf an, wie man den Film einordnet. Es geht doch nicht um eine Dokumentation. Das ist ein Fantasy-Film. Wir Chinesen haben doch noch nie etwas von Mumien gehört. So etwas haben wir doch gar nicht. Es geht um einen Film mit gutem Unterhaltungswert. Und China ist ein großer Markt für die Filmindustrie geworden. In fünf Jahren wird er genau so bedeutend sein wie Amerika. In zehn, fünfzehn Jahren wird China sogar der wichtigste Markt sein. Im Moment gehen in China doch gerade einmal eine Million Menschen ins Kino, weil die Infrastruktur noch nicht weit genug entwickelt ist. Aber eine Milliarde Menschen warten nur darauf, dass endlich ein Kino eröffnet. Bald werden Hollywood-Stars darüber nachdenken, Mandarin zu lernen.

Warum machen Sie immer Actionrollen und meist keine Charakterrollen mit Humor. Liegt das an Ihrer Kampfkunstkarriere?

Natürlich kann man nach 28 Jahren Erfahrung verschiedene Rollen spielen. Aber die Studios hören auf das Publikum. Und das will Jet Li kämpfen sehen. Harte Kämpfe! In den letzten Jahren hat sich das ein wenig geändert. Jetzt stehen Familienfilme hoch im Kurs. Deswegen habe ich auch einen Film zusammen mit Jackie Chan gemacht (The Forbidden Kingdom, Anm. d. Red.), den alle sehen können.

Im Film kämpfen Sie gegen Michelle Yeoh. Ist es schwieriger, gegen eine Frau anzutreten?

Das kommt auf die Frau an. Wenn sie Kampfkunst kann, so wie Michelle Yeoh, ist es natürlich einfach. Wir kennen uns seit 15 Jahren und sie ist die beste Kampfkunstdarstellerin der Welt. Wir schauen uns an, was der Choreograph von uns will und dann machen wir das einfach.

Es ist also einfacher Kampfkunstszenen zu drehen, wenn man sich gut kennt?

Definitiv. Wenn man ein unterschiedliches Niveau hat, wird es gefährlich: Power und Geschwindigkeit müssen stimmen. Wann mache ich was und wie schütze ich mich selbst? Mit Michelle ist das alles ganz einfach. Sie ist großartig.

Sie machen fast alle Stunts selbst. Was waren Ihre schlimmsten Verletzungen?

In den frühen 80ern ging es speziell bei den Hong Kong-Produktionen ziemlich grob zu. Da sprang man ohne Schutzkleidung von Gebäuden oder hatte viel Körperkontakt bei den Kämpfen. Eigentlich kam jeden Tag ein Krankenwagen zum Set. Auch ich habe mich oft verletzt, hatte insgesamt sieben Knochenbrüche. Alles andere zählt man nicht. Blaue Flecke oder Schnittwunden sind keine „Verletzungen“. Du gehst hinter die Bühne, lässt dich verbinden – weiter geht’s!

Stichwort Knochenbrüche: Was würden Sie tun, wenn Sie unsterblich wären?

Erstens ist das natürlich rein hypothetisch. Zweitens stelle ich mir das nicht sonderlich nett vor: Du bist zwar über tausende von Jahren fit, hast aber keine Freunde, keine Familie. Du lebst mit Deinem Groß-Groß-Groß-Großneffen zusammen. Schrecklich! Außerdem bin ich ein Buddhist und glaube deshalb an die Reinkarnation. Der Körper verändert sich ständig. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Alles ist ein Kreislauf. Es weiß ja keiner, wie oft wir vielleicht schon reinkarniert wurden. Deshalb geht es darum, in jedem Leben sein Bestes zu geben und glücklich zu sein.

Leichter gesagt, als getan…

Ja klar. Jeder will doch glücklich sein und sich gut fühlen. Vielleicht fühlst du dich nicht wohl, dann arbeitest du mehr. Du willst berühmt werden, Macht haben, viel Geld verdienen, geliebt werden. Du denkst, das sind die Sachen, die Dich glücklich machen. Aber am Ende des Tages geht es nicht darum.

Und was macht dann glücklich?

Dein inneres Gleichgewicht. Umso mehr du im Gleichgewicht bist, desto glücklicher bist du!
Wenn du gierig wirst, immer mehr willst, wirst du nie gut genug sein. Es gibt immer einen besseren Schauspieler oder Milliardäre, die mehr Geld haben als du. Du willst reicher werden als sie, mächtiger sein? Dann hast du immer noch Bill Gates vor dir. Also, wann ist es genug? An welchem Punkt reicht es Dir? Sogar die Macht von Präsidenten endet nach vier Jahren, vielleicht nach acht. Danach verlieren sie an Einfluss und leiden darunter. Deshalb musst du an dich selbst glauben. Du musst verstehen, dass du nicht mit anderen konkurrierst, du konkurrierst mit dir selbst. Erst dann triffst du selbst die Entscheidung über Glück und Leid.

Gibt es eine Verbindung zwischen diesen Gedanken und der Kampfkunst?

In der chinesischen Kampfkunst ist der Taoismus wichtig. Dieser lehrt das „Bild der Leere“. Es gibt das Yin und das Yang – die Gegensätze wie kalt und warm oder Frau und Mann. Das besagt: Wenn du gegeneinander arbeitest, wird es immer Ärger geben. Deshalb musst du deine Position wechseln und die des Gegenübers einnehmen. Dann verstehst du ihn besser und wirst selbst weniger leiden. Darum ist das höchste Ziel im Buddhismus auch die innere Leere.

Wie wichtig ist der philosophische Hintergrund der Kampfkunst im Film. Denken Sie daran, wenn Sie schauspielern?

Das kommt auf den Film an. Bei den so genannten Kampfkunst-Filmen schon, denn in der Kampfkunst geht es nicht nur um den körperlichen, sondern auch um den geistigen Aspekt.
Die Philosophie ist wichtig, wie man auch in meinem Film „Fearless“ sehen kann. Es geht um die grundsätzlichen Fragen: Wer ist dein Gegner? Warum lernst du Kampfkunst? Gegen wen kämpfst du? Warum willst du Rache? Wenn man sich diese Fragen stellt, kommt man irgendwann darauf, dass du selbst Dein größter Gegner bist. Es gibt keine Angst und keine Gegner – sie sind in dir. Wenn man die chinesische Schreibweise von Kampfkunst korrekt übersetzt, heißt es: „Stopp das Kämpfen.“ Aber in den meisten Filmen werden natürlich nur die körperlichen Aspekte gezeigt, die zum Film, zu den Personen oder zur Geschichte passen. Genau wie im Film „Die Mumie“. Das ist natürlich kein Kampfkunstfilm. Es geht nur um den physischen Kampf, Gut gegen Böse, aber eben nicht um echte Kampfkunst. Das ist ein Unterschied.

Wie lange haben Sie für die Szenen in „Die Mumie 3“ trainiert?

Als Kind habe ich zehn Jahre lang acht Stunden täglich trainiert. Und das sechs Tage die Woche. Für einen Film zu trainieren, ist etwas völlig anderes und fällt mir viel leichter. Bei diesem Film war gar kein Training nötig. Ich habe ja gerade einmal zwei Tage mit Michelle gekämpft und drei Tage mit Brendan Fraser. Bei Hong Kong-Produktionen hat man teilweise 100 Drehtage, an denen man kämpft. Das ist etwas völlig anderes als dieser Film.

Wenn man über Kampfkunstfilme spricht, fällt einem Bruce Lee ein. Würden Sie den gerne einmal spielen?

Nein, denn ich habe keinen Bezug zu ihm. Als er verstarb, war ich gerade zehn Jahre alt.  Aber er war ein großartiger Kampfkünstler, den jeder respektiert.

Man sagt, Bruce Lee hatte einige Herausforderungskämpfe. Sie auch?

Nein, das kam bei mir nie vor. Das hängt mit meinem Verständnis der Philosophie der Kampfkünste zusammen. Schauen Sie sich die ganzen Kriege an; die kämpfen ewig. Wer ist da der Gute und wer der Böse? Die einen beschuldigen die anderen und umgekehrt. Und das nur, weil die Menschen unterschiedliche Meinungen haben.
Wer die Kampfkunst meistert, weiß, dass die beste Waffe ein Lächeln ist. Ich glaube fest daran. Das höchste Ziel, dass man erreichen kann lautet: Liebe jeden, sogar deine Feinde.
Denn, was dann passiert, ist interessant: Du kannst deine Feinde verändern. Rein physisch kannst du sie natürlich auch besiegen, indem du sie zu Boden schlägst. Aber du wirst nichts ändern. Du änderst nicht ihre Ansichten, du erreichst nicht ihr Herz. Und was passiert dann? Irgendwann wollen sie Rache. Du besiegst sie ein zweites Mal. Aber wer sagt, dass sie nicht wiederkommen und es immer so weiter geht? Wenn Du die philosophischen Aspekte der Kampfkunst verstanden hast, löst Du das Problem an der Wurzel.

Aber was machen Sie in einer gefährlichen Situation, wenn Sie jemand verletzen will?

Das kam noch nie vor. Ich habe ja auch nie behauptet, der beste Kämpfer der Welt zu sein.
Ich bin nur ein Schauspieler, spiele den verrückten, harten Typen im Film. Aber privat bin ich ein Normalo. Und außerdem: Wofür soll ich kämpfen? Ich bin nicht gegen irgendjemanden. Wenn jemand mich bedroht und mein Geld und etwas anderes möchte, kann er es haben. Wenn ihn das glücklich macht … Man muss lernen, nicht gegen etwas anzukämpfen.

Also haben Sie die Kampfkunst nie eingesetzt?

Nein, das kann man nicht. Wenn man das machen würde, wäre man genau genommen nicht besser als der Angreifer. Das wäre wie in meinem Film „Unleashed“, in dem ich einen Kämpfer spiele, der ein Halsband trägt. Wenn man das abnimmt, verwandelt er sich in ein Tier, das nur ein Ziel hat: Kämpfen! Aber wofür ist das gut? Du kannst zwanzig Leute umhauen? Toll! Aber das Einzige, was du dann kannst, ist Leute zu verletzen. Du hast kein Verantwortungsbewusstsein, keine Liebe, keine Freundschaft. Du verstehst überhaupt nicht, was es bedeutet als Mensch zu leben; Du bist wie ein Tier.

Bei der Tsunami-Katastrophe in 2004 waren Sie persönlich betroffen. Haben diese Ansichten damit zu tun oder kommt dies durch die Studien der Kampfkünste?

Zum einen sind es die Philosophien der Kampfkünste, aber ich bin ja seit über zehn Jahre Buddhist und beschäftige mich intensiv damit. Und natürlich hat mich die Erfahrung während des Tsunami in meinen Ansichten bestätigt. Deshalb ja auch mein karitatives Engagement.

Was ist damals passiert und wie hat das Ihr Leben beeinflusst?

Wir waren auf den Malediven im Urlaub, als wir von der Welle überrascht wurden. Mir stand das Wasser wortwörtlich bis zum Hals. Eine meiner Töchter hatte ich auf den Schultern, die andere, gerade einmal ein Jahr alte Tochter wurde von der Welle mitgerissen, jemand anderes hat sie dann gerettet. Und obwohl ich mich vorher bereits viele Jahre mit Buddhismus beschäftigt habe – wenn du schlagartig mit dem Tod konfrontierst wird, wird dir eins klar: Wir sind alle gleich, ganz egal wie viel Macht und Geld du hast!
Da wurde mir bewusst, dass ich nicht auf meinen Ruhestand warten darf, um anderen zu helfen. Deshalb wollte ich sofort helfen und meine Karriere dazu nutzen, etwas zurückzugeben. Zwei Jahre lang habe ich mich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und überlegt, was ich am besten machen kann, um zu helfen. Dann gründete ich eine Stiftung.

Die „One Foundation“ war also das Ergebnis Ihrer Erfahrungen durch den Tsunami.

Das war der Start.

Die Stiftung ist eine Non-Profit-Organisation?

Ja, absolut.

Wie groß ist die Stiftung und wie viele berühmte Persönlichkeiten unterstützen sie?

Wir haben über 500 Prominente, die uns ehrenamtlich unterstützen; Michelle Yeoh, Jackie Chan, John Woo, Ang Lee und viele mehr sind dabei, auch viele Sportler und bekannte Journalisten und Moderatoren. Wir haben in China begonnen. Jetzt wollen wir unser Engagement auf ganz Asien ausbreiten. Dann im Nahen Osten helfen und in fünf Jahren in Afrika.

Sie sind ein erfolgreicher Schauspieler. Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, welche Rollen Sie annehmen? Geht es da eher darum, wen Sie spielen oder steht die Handlung des Films im Mittelpunkt?

Seit dem Tsunami sehe ich das Ganze nur noch als einen Job. Wenn es um ein interessantes Projekt geht oder um einen Regisseur, mit dem ich schon immer einmal etwas machen wollte, dann mache ich das natürlich, aber die meiste Zeit widme ich meiner Stiftung. Dieses Jahr habe ich zum Beispiel zwei Rollen abgelehnt, um mich ganz auf die Stiftung konzentrieren zu können. Da gibt es so viel Arbeit und so viele Dinge, die ich noch lernen muss.

Was wird Ihr nächstes Projekt sein?

Wie gesagt, das Wichtigste ist die Stiftung. Wir glauben daran, dass die Welt eine große Familie sein sollte, egal ob wir kulturelle oder religiöse Unterschiede haben – wir sind alles Menschen und wir müssen uns gegenseitig helfen. Deshalb heißt die Organisation „The One Foundation“. Wir bitten Leute darum, sich mit zehn Cents monatlich zu beteiligen. Es geht also um einen großen Pool von Leuten, die anderen in Armut oder nach Katastrophen helfen. Die Foundation gibt es erst seit einem Jahr, aber wir haben bereits viel Unterstützung bekommen.
Und die globale Familie ist groß. Wenn wir alle zusammenlegen, können wir sehr viel erreichen. Es gibt viele Firmen, die davon begeistert sind und uns zusätzlich unterstützen:
Microsoft, Starbucks, Adidas, die amerikanische Basketballliga NBA und andere. Sie motivieren ihre Mitarbeiter, zehn Cent im Monat zu spenden. Oder sie spenden zehn Cent für jedes Produkt, das sie verkaufen. Das alles zusammenzubringen und Menschen damit zu helfen, ist meine neue Karriere.

Was treibt Sie an, weiterzumachen?

Ich atme noch, das treibt mich an (lacht). Ich will der Welt etwas zurückgeben, meinen Erfolg nutzen, um so vielen Menschen wie möglich zu helfen, andere zu motivieren, es mir gleich zu tun. Niemand weiß, wie lange er noch atmet, wann er stirbt. Deshalb will ich meine Lebenserfahrung und meine Überzeugungen weitergeben, solange ich noch die Möglichkeit dazu habe.

Interview: André Karkalis

Über Jet Li:
Bürgerlicher Name: Li Lian Jie
Geboren: 29. April 1963 in Peking
Größe: 1,70 m
Verheiratet, zwei Kinder aus erster, zwei aus zweiter Ehe
Li lebt mit seiner Familie derzeit in Singapur.

Filmografie (Auswahl):
• 1982: Shaolin Temple: Kloster der Rächer (Shaolin si)
• 1984: Shaolin Temple: Kinder der Rache
• 1986: Final Fight (Born to Defence)
• 1986: Shaolin Temple: Macht der Shaolin
• 1989: Dragons of the Orient
• 1989: Dragon Fight
• 1990: Once Upon a Time in China (Wong Fei-hung)
• 1991: Last Hero – Once Upon a Time in China II (Wong Fei-hung II)
• 1992: The Master
• 1992: Once Upon a Time in China 3
• 1992: China Swordsman (Tung fong bat bai II)
• 1993: Iron Tiger (The Legend of Fong Sai Yuk 2)
• 1993: Kung Fu Cult Master (Yi tian tu long ji zhi mo jiao jiao zhu)
• 1993: Der Vollstrecker (Fong Sai-Yuk tsuktsap)
• 1993: Claws of Steel (Wong Fei-Hung tsi titgai dau nggung)
• 1993: Tai Chi
• 1994: Jet Li‘s Shaolin Kung Fu
• 1994: Fist of Legend (Jing wu ying xiong)
• 1994: Bodyguard von Peking (Bodyguard from Beijing)
• 1994: Master der Shaolin (New Legend of Shaolin)
• 1995: Total Risk (High Risk)
• 1995: My Father Is a Hero
• 1996: Black Mask (Hak hap)
• 1996: Jet Li: Die Schrift des Todes (Mo him wong)
• 1997: Once Upon a Time in China and America (Wong Fei-hung chi  saiwik hung si)
• 1998: Jet Li Contract Killer – Im Auftrag des Todes (Sat sau ji wong)
• 1998: Lethal Weapon 4
• 2000: Romeo Must Die
• 2001: The One
• 2001: Kiss of the Dragon
• 2002: Hero (Ying xiong)
• 2003: Born 2 Die (Cradle 2 the Grave)
• 2005: Unleashed – Entfesselt (Unleashed)
• 2006: Fearless
• 2007: War
• 2007: The Warlords
• 2008: The Forbidden Kingdom (King of Kung Fu)
• 2008: Die Mumie 3 – Das Grabmal des Drachenkaisers