Sicherheit

Im Rausch der Gewalt (Teil 2)

Bei einem Großteil aller Gewaltdelikte sind Drogen im Spiel. Ihre enthemmende Wirkung setzt Aggressionen frei. In seltenen Fällen haben wir es mit nüchternen Gegnern zu tun – das gilt sowohl auf der Straße als auch bezüglich häuslicher Gewalt. Nach dem Motto „erkenne deinen Gegner – erkenne dich selbst“ will sich diese Artikelserie mit den Auswirkungen von Drogen auseinandersetzen und einen Überblick über diese Thematik verschaffen. Dieser Teil setzt sich mit der populärsten Droge auseinander: Alkohol.

Wie wirkt Alkohol?

Der Begriff Alkohol stammt aus dem Arabischen (al-kuhl = Augenschminke, Antimonpulver).
Alkohol war schon immer für seine enthemmende Wirkung bekannt. In geringer Dosierung wirkt er anregend, in größeren Mengen betäubt er. Generell ist er bereits ab 0,2 Promille schädlich und beeinträchtigt mitunter die Reaktion und Wahrnehmung. Ab 1 Promille werden Koordination, Konzentration und das Sehvermögen beeinträchtigt. Mit 3 Promille kann man schnell die Orientierung verlieren und ziemlich betäubt sein. Insgesamt wirkt Alkohol schädlich auf die Organe (insbesondere die Leber), die Nervenbahnen sowie das Gehirn (Psyche bzw. Intelligenz).

Er gelangt über die Schleimhäute schnell ins Blut und damit ins Gehirn. Dort greift es die Zentren für Gefühl und Bewusstsein an. Der Körper reagiert auf Alkohol mit der Ausschüttung von Dopamin, das „Glücksgefühle“ produziert. Sobald sich das Gehirn an diese Verkettung von Alkoholtrinken und Dopamin-Ausschüttung gewöhnt, kommt es zum Suchtverhalten; denn der Körper produziert immer mehr Enzyme, die beim Alkoholabbau helfen. In der Folge verträgt der Körper mehr und es muss immer mehr getrunken werden, um den (bewusst oder unbewusst) gewünschten „Glückszustand“ wieder herzustellen.

Doch hat Alkohol nicht zwangsläufig eine positiv-stimulierende Wirkung. Das wissen wir nicht zuletzt aus Erfahrung. Alkoholisierte Täter besitzen eine niedrigere Hemmschwelle als nüchterne. Die Kontrollmechanismen werden herabgesetzt, die Aggression ist enthemmter und auch die Nehmerqualitäten steigen: will heißen, dass Betrunkene mehr Schläge einstecken können; auch wenn der Schmerz am nächsten Tag bei Nüchternheit umso stärker sein wird. In Zusammenhang mit anderen Drogen kann diese Qualität sogar gesteigert werden. Dazu aber im nächsten Teil.

Eine Sonderrolle nehmen die so genannten Alkopops ein. Der Mix aus Alkohol, Taurin, Koffein, Inosit und Glucuronolacton führt einerseits zur Steigerung der Alkoholwirkung und andererseits zur Überspielung von Ermüdungserscheinungen. In der Folge kann das bei Überanstrengung zu einer Austrocknung des Körpers führen, da die natürliche Durstwahrnehmung weitgehend „deaktiviert“ wird.
Alkopops werden meistens von Jugendlichen konsumiert. Wer abends öfter mit dem Nahverkehr unterwegs ist, darf den jugendlichen Alkoholkonsum eingehend studieren – zumindest in Berlin.

Fahrende Kneipen

Die Zeiten, als Alkohol fast ausschließlich in Ausschankorten (Partys, Wirtshäuser, Bars etc.) konsumiert wurde, haben sich rapide geändert. Bisher waren es zumeist Obdachlose, die den Alkohol auf die Straße brachten. Wer heute abends am Wochenende in Berlin mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs ist, kann davon ein Lied singen. S- und U-Bahnen sowie Busse und Straßenbahnen werden zu fahrenden Kneipen, in denen zu späterer Stunde Jugendliche mit Bierflaschen, Alkopops und hochprozentigen Gemischen das Bild dominieren. Es ist seit einigen Jahren eine selbstverständliche „Freizügigkeit“ entstanden, (zumindest unter Jugendlichen) den Alkoholrausch öffentlich und laut zu zelebrieren.
Das Sicherheitsgefühl vieler Fahrgäste leidet darunter. Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Übergriffen. Allein in den vergangenen Monaten gab es in Berlin eine Reihe gewalttätiger Übergriffe sowohl gegen Fahrgäste als auch gegen Tram-/Busfahrer. Das Securitypersonal ist unterbezahlt und schlecht geschult, so dass die Motivation, etwas gegen das Kneipenambiente des Nahverkehrs zu unternehmen, nicht besonders hoch sein kann.

Die Gründe für diese Entwicklung können folgende sein:
•  Die Schließung von Einrichtungen, in denen Jugendliche am Wochenende zusammenkommen können (kommerzielle Clubs sind zu teuer)
•  Kein Alkoholausschank an Jugendliche unter 16 Jahren in Kneipen und Clubs
•  Ein neues Selbstbewusstsein, sich den öffentlichen Raum zu nehmen
•  Ein mangelndes Bewusstsein über die Wirkungen von Drogen
•  Protestverhalten
•  Erhöhter Coolnessfaktor, sich öffentlich mit Drogen zu enthemmen
•  Gruppendynamik und Gruppendruck, sich innerhalb der Clique dem anzuschließen

Wie viel verträgst Du?

Wie viele Drogen der Mensch verträgt, hängt unter anderem vom Geschlecht, Gewicht und der Tagesform ab. Hinzu kommt das, was man bereits im Magen hat.
Wer regelmäßig öfter Alkohol trinkt, entwickelt im Körper ein Enzym, das den Alkohol schneller abbaut. Wer nur wenig trinkt und dann zu viel auf einmal, bei dem ist die Wahrscheinlichkeit einer Alkoholvergiftung höher, da dieses Enzym im nicht ausreichenden Maße vorhanden ist. Das betrifft beispielsweise Jugendliche, die auf „Flatrate-Partys“ „komasaufen“ und sich dann im Krankenhaus wiederfinden.

Komasaufen

Natürlich gab es „schon immer“ Jugendliche, die zu viel getrunken haben bzw. an den Folgen einer Alkoholvergiftung gestorben sind. Doch in den vergangenen zwei Jahren sind die Begriffe „Flatrate-Partys“ und „Flatrate-Saufen“ aufgekommen. Wirte boten ohne Ende Bier für z.B. 10 Euro pro Person an.
Tödlich endet so ein Saufgelage, wenn die Jugendlichen nicht genügend Enzyme zum Alkoholabbau besitzen und der Alkohol seine Wirkung intensiver entfalten kann. Das ist dann der Fall, wenn sie sonst nicht viel Alkohol trinken oder recht jung sind. Bei einem Einstiegsalter für Alkohol und Nikotin von 12-16 Jahren ist das nahe liegend. Doch man muss nicht allzu jung sein, um den Alkohol nicht zu vertragen.
Verhältnismäßig wenig Schnaps kann auch eine gefährliche Dosis für rückfällig gewordene Alkoholiker sein, die zudem zur Gewalt neigen. Auffällig ist hier, dass sie ein höheres Ausmaß an Gewalt zeigten, als die remittierten Alkoholiker und die Nichtalkoholiker.

Drogen als Vorwand

Gerne wird Drogen- bzw. Alkoholmissbrauch als Vorwand für Straftaten benutzt. Wenn bestellte Gutachter aufgrund des Alkoholpegels dem Täter eine verminderte Schuldfähigkeit attestieren, weiß man, dass man damit besser vor Gericht durchkommt, als nüchtern gewalttätig zu werden; denn viele Richter sehen im Alkohol die Ursache für Gewalt. Nur wenige verurteilen, weil sie sich eben mit Alkohol enthemmt haben, um eine Straftat damit „leichter“ zu begehen. (Das ist zudem eine Frage des Vorsatzes, der oft nicht nachgewiesen werden kann.)

So heißt es in einem Gerichtsurteil (BGH, Urteil vom 07.08.2001 – 1 StR 470/00; LG Stuttgart): „Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln für sich allein noch nicht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Diese Folge ist bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise gegeben, zum Beispiel, wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen; ferner unter Umständen dann, wenn er das Delikt im Zustand eines akuten Rausches verübt.“
Der letzte Satz bedeutet, dass ein volltrunkener (bzw. zugekokster) Täter vermindert steuerungs- und damit unzurechnungsfähig ist. Das entspricht der These der „Disinhibition“ (Enthemmung). Sie ist ein veralteter Ansatz, der Drogenkonsum für den Zusammenbruch der inneren Kontrolle verantwortlich macht. Folglich kann der Täter sein Verhalten selbst nicht mehr steuern und wird gewalttätig. Darauf verweist eine Studie des Kieler Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung. Ein neuerer Ansatz ist die Theorie der Kontextfaktoren. Sie besagt, dass Alkoholkonsum nicht per se zur Gewalt führt, sondern es um einen Mix aus Randfaktoren, innerer Einstellung und Alkoholkonsum geht. Das kommt der Realität schon näher.

Im nächsten Teil geht es um illegale Drogen.

Sifu Oliver C. Pfannenstiel, 4. TG