Editorial

ChiSao in der Grappling-Distanz

Gekämpft wird in verschiedenen Distanzen, die alle ihre speziellen Einsatzbereiche aufweisen. Wo können wir unsere Stärke, das ChiSao, einsetzen? Geht auch ChiSao in der Grappling-Distanz? Dazu einige Gedanken in meinem Editorial.

Schon in den 1980er Jahren hat GM Prof. Keith R. Kernspecht in seinem Buch „Vom Zweikampf“ die Distanzen im Kampf definiert (vgl. Abb. 1 bis 5).

Abb. 1: Trittdistanz

Was ist aber die Hauptdistanz in der Selbstverteidigung? Meist spielen sich Schlägereien oder überfallartige Angriffe in einer sehr nahen Distanz ab. Diese geht von der Fauststoßdistanz bis zur Distanz „Ringen, Rangeln, Werfen“.
 

Unsere Stärke ist ChiSao!

Was ist aber die wichtigste Stärke des WingTsun? – Natürlich unser ChiSao.

Abb. 2: Fauststoßdistanz

Dieses spielt sich in der Distanz zwischen Boxen und Ringen ab, wenn wir uns in sportlichen Kategorien ausdrücken wollen. – Also: etwas näher als ein Boxer und etwas weiter weg als ein Ringer.

In genau dieser Distanz spielen sich auch die meisten Auseinandersetzungen ab. Der Gegner kommt meist näher. Es entsteht ein Handgemenge usw. Hier können wir ideal unser ChiSao einsetzen!

Unsere Phasen im männlichen Ritualkampf sind:

  • Blickkontakt
  • Rhetorische Phase
  • Zeigen/Schubsen
  • Wilde Schläge/Heumacher/kurvige Angriffe
  • Entartete Phase: Am Boden gegen den Kopf treten

Der ChiSao-Könner hat also Vorteile in den Phasen „Zeigen/Schubsen“ und „Wilde Schläge“.

Abb. 3: Ellbogen-/Kniedistanz

GM Keith R. Kernspecht widmet sich im Jahre 2020 mit seinem Programm „ChiSao-Kuen“ dem Herzen des WingTsun, dem funktionellen ChiSao.

Was kommt aber nach der ChiSao-Distanz? Wenn der Gegner näherkommt, entsteht meist ein Clinch, der Gegner setzt Würfe und Takedowns an und das Geschehen verlagert sich auf den Boden.

Erste Strategie sollte immer sein, den Gegner schon möglichst früh zu kontrollieren und durch harte Treffer auszuschalten. Dann kommt es erst gar nicht zum Clinch oder Wurf.

Wenn der Angreifer aber schon näher ist oder sich durch die ChiSao Phase durchgekämpft hat, heißt es weitermachen. Jetzt wollen wir unser ChiSao gegen Angriffe in der Phase „Ringen/Rangeln/ Werfen“ einsetzen.

Abb. 4:Ringen/Rangeln/ Werfen

Um dies zu üben, benötigen wir Angreifer, die diese Angriffe gut beherrschen! Im BlitzFight lernen wir Würfe und Takedowns aus verschiedensten Stilen. Nicht jeder WingTsun-Schüler muss jetzt extra diese Techniken lernen, aber es ist wichtig, dass unser Trainingspartner zumindest die Ansätze solcher Techniken kennt.

Der geübte Grappler setzt nicht einfach einen Takedown ein, sondern er benutzt eine Kombination, setzt zumeist eine Schlagkombi vor dem eigentlichen Wurf oder arbeitet sich mit einer Art „Ringer-ChiSao“ in die richtige Wurfposition.

Oft machen WT-ler unter Stress den Fehler, dass sie zu weit nach vorn gehen, denn sie fühlen sich in der ChiSao-Distanz sicher. Aber wenn sie dann zu weit reingehen, sind sie in der Ringer-Distanz, in der ein Spezialist, z.B. im Ringen, besser ist!

Abb. 5: Verteidigung am Boden

Durch mangelnde Achtsamkeit oder durch einen überfallartigen Angriff kann der Gegner aber auch plötzlich näher dran stehen, als einem lieb ist.

Nun heißt es, ChiSao-fit in der Grappling-Distanz zu sein. GM Thomas Schrön und ich haben zahlreiche Übungen entwickelt, um alle ChiSao-fit in dieser Distanz zu machen! Natürlich darf hier der Einsatz unserer Waffen wie Ellbogen, Knie, Fauststöße, FaakSao etc. nicht zu kurz kommen, um den Gegner wirksam zu stoppen!

Eine gute Gelegenheit, sich in das Thema einzuarbeiten, sind der Oster- und der Pfingst-Lehrgang in Großwallstadt bei Frankfurt am Main. Wir werden dort die typischen Fehler von WT-lern zeigen, die es dem Gegner ermöglichen, mit seinen Angriffen in der Phase „Ringen/Rangeln/Werfen“ durchzukommen. Außerdem werden wir die gängigsten Angriffe am Boden unterrichten und wie man dagegen gewappnet ist.

Bis bald in Großwallstadt!

Euer GM
Oliver König
 

Fotos: hm