„Ich war geschockt!“
Michael Welge: Wie war es für Dich, den „Zehnten“ verliehen bekommen zu haben?
GM Bill Newman: Es war ein sehr seltsames Gefühl, das ich während der Verleihungszeremonie empfand. In gewisser Weise war ich beinahe körperlich geschockt! Denn üblicherweise stehe ich während einer Verleihung auf der anderen Seite. Anstatt dort zu stehen, wo ich bisher immer gestanden habe – in der Welt, die ich gewohnt bin, in der ich die Urkunden austeile – stand ich nun plötzlich völlig überraschend auf der anderen Seite und erhielt eine Auszeichnung. Ich fühlte mich wie ein Schuljunge vor dem Schuldirektor. Extrem seltsam, extrem schweißtreibend. Auch wenn die Umstände letzteres gar nicht anders zuließen – es war ein sehr heißer Tag und am oder besser im Veranstaltungsort (einem Party-Schiff) herrschten ebenfalls beachtliche Temperaturen – der Anlaß und die Aufgeregtheit haben gewiss dazu beigetragen.
Es ist seltsam, aber wir alle mögen Belohnungen. Ich war sehr aufgeregt und stolz, als mir der zehnte Grad verliehen wurde. Aber es war dasselbe mit allen anderen Graduierungen, die ich erhielt. Ich erinnere mich noch an die Aufregung, als ich meinen ersten Grad im Escrima bekam. Damals waren die Zeiten anders; die Welt war mehr Jiu Jitsu-, Karate- und Judo-orientiert. Deswegen wurde mir der erste Grad in Form eines Schwarzgurtes überreicht. Das war einer der Höhepunkte in meinem Leben. Ebenso war es, als ich meinen zweiten bekam – keine der Verleihungen ließ mich jemals unberührt. Jeder einzelne hatte den gleichen Wert.
Michael Welge: Was bedeutet Dir der zehnte Großmeistergrad? Du trägst damit zusammen mit den WingTsun-Großmeistern die höchste Graduierung des Verbandes.
GM Bill Newman: Dieser Grad wurde als Leiter der Escrima-Sparte in unserer Organisation verliehen. Ich glaube kaum, dass er mich in die Lage versetzt, an der Decke entlang zu laufen. Und ich werde sicherlich nicht über Wasser gehen können. Ich werde auch nicht mehr Verantwortung haben, als ich ohnehin bereits hatte.
Den zehnten Grad erhalten zu haben, bedeutet aber auch nicht, dass die Arbeit jetzt getan wäre. Im Gegenteil, ich werde dadurch angetrieben.
Ich hoffe, besonders den jungen Leuten, die Escrima betreiben, zeigen zu können, dass es ein Leben als Kampfkünstler jenseits der 40, der 50, ja sogar jenseits der 60 gibt. Es ist gut, wenn man sich seine höchsten Lehrer ansehen kann und dabei feststellt, dass es eine Zukunft gibt. Es gibt uns noch, wir trainieren, arbeiten und haben Spaß.
Außerdem regt es die Gehirnzellen zu mehr Aktivität an.
Michael Welge: Also der Großmeistergrad als Lebensziel?
GM Bill Newman: Ich möchte noch einmal wiederholen, was ich bereits mehrfach an anderer Stelle gesagt habe: Diese Titel und Belohnungen sind nur innerhalb unserer Organisation von Bedeutung. Wir sind in der EWTO und innerhalb der EWTO erkennen wir die Dinge an, für die wir gearbeitet haben. Natürlich sorgt die Reputation der EWTO dafür, dass die Titel auch außerhalb der Organisation manchmal einen gewissen Wert besitzen kann. Aber ich glaube nicht, dass irgendjemand außerhalb der EWTO daran interessiert ist, welche Graduierung man innehat.. Sie hat nur insofern einen Wert, weil die Organisation einen anerkannten Wert hat.
Deswegen bin ich sehr stolz und sehr glücklich darüber, dass mir der zehnte Großmeistergrad der EWTO verliehen wurde.
Michael Welge: Großmeister Bill, vielen Dank für dieses Gespräch.