WingTsun

Napoleon und Torwart gleich WingTsun

Ganz so einfach ist die Sache nun doch nicht. Aber was Napoleon Bonaparte und ein Torwart mit WingTsun zu tun haben und einiges mehr zur neuen Programmstruktur der EWTO erläuterte Großmeister Keith R. Kernspecht am Sonntag zunächst beim Techniker-Lehrgang in Frankfurt und gab in der nachfolgenden Lehrgangseinheit dazu einen praktischen Einblick in die Umsetzung der neuen Programmstufen angepasst an die verschiedenen Schülergrade.

Im Herzen Frankfurts trafen sich WingTsunler am Sonntag, 21. März 2010 zur Mittagszeit in der gerade mit Liebe zum Detail renovierten EWTO-Akademie, um am Lehrgang mit ihrem Großmeister, Sifu Keith R. Kernspecht, teilzunehmen. Nicht nur die frische Farbe ließ alles erstrahlen, auch die Frühlingssonne half kräftig mit. Die ganze Atmosphäre weckte neue Energien, Tatendrang.
Dies wurde dann von Sifu Kernspecht noch geschürt. In der ersten Einheit, dem Techniker-Lehrgang, ging es zunächst ums Schubsen in allen Variationen, anschließend wurde gefaltet und geglibbscht und die Steigerung der Aufmerksamkeit trainiert. Manch einer wird jetzt denken: „Geschubst haben wir doch schon immer!“ Aber noch nie wurde so geschmeidig mit dem gesamten Körper darauf reagiert. Einige alte Tabus wurden in die Mottenkiste verbannt. Keine Bewegungsrichtung wurde mehr ausgeklammert.

Um das Verständnis für die neue Programmstruktur und seine Umsetzung zu fördern, gab Großmeister Kernspecht den Lehrgangsteilnehmern eine theoretische Erläuterung dazu. Er skizzierte den Weg vom Anfänger zum Meister in drei Stufen:
In der ersten Stufe muss der Schüler die Auseinandersetzung noch präventiv lösen. Er hat noch keinen ausgeprägten Tastsinn, der ihm Entscheidungen abnehmen kann und ihm erlaubt, auf den Willen des Gegners einzugehen, um eine Bedrohung von sich abzuwenden. Für den Anfänger heißt es bei der Verteidigung noch: „Mein Wille geschehe!“
Die dritte Stufe, das Ziel im WingTsun, bedeutet, dass der Verteidiger es sich erlauben kann, dem Angreifer seinen Willen zu lassen. Der Angreifer darf dorthin schlagen, wohin er will. Der Verteidiger hat sein taktiles Empfinden und seine Bewegungsmöglichkeiten inzwischen soweit perfektioniert, dass er den Angriff nicht mehr behindern muss, sondern ihm lediglich dessen Ziel entfernt und zur gleichen Zeit seinen eigenen Angriff ins Ziel bringt.
Dazwischen liegt die zweite Stufe als Übergangsphase. Der Verteidiger lernt jetzt mit dem Angreifer in engen Grenzen zu kooperieren. An dieser Stelle greifen Napoleon oder der Torwart zur Unterstützung ins Geschehen ein. Aber wie?

Napoleon Bonaparte
Napoleon Bonaparte muss nun nicht leibhaftig erscheinen. Aber er hat der Nachwelt seine Kriegsstrategie hinterlassen und diese können auch wir zu unserem Vorteil nutzen. Die feindlichen Heere wichen immer vor ihm zurück und wollten nicht mit ihm kämpfen. Also musste er etwas angreifen, das sie unbedingt geschützt wissen wollten: ihre Hauptstadt. Für die waren die Gegner bereit zu kämpfen. Aber ihnen wurde die Kontrolle des Wann und Wie entzogen. Übertragen auf WingTsun: Der Verteidiger bedroht Körperteile des Angreifers, die er in jedem Fall zu schützen versuchen wird. Auf diese Weise kommt der WT-Kämpfer in Kontakt mit den Armen des Gegners, ohne dass er sie lange suchen muss. Er weiß schon vorher in etwa; wie die Abwehr ausfallen wird und seine Aufmerksamkeit kann sich darauf einstellen. Bestätigen erst die Augen und dann der Tastsinn die Annahme, kann er in angepasster Weise die Abwehr zu seinem Vorteil ausnutzen.

Torwart
Der Torwart hat wie der Verteidiger ebenfalls das Problem, dass er nicht weiß, in welche Ecke er zur Verhinderung eines Tores hechten muss. Auf jeden Fall sind seine Chancen 50:50, wenn er genau mittig zwischen den Torpfosten steht; denn dann kann sich der Torschütze seine Lieblingsecke aussuchen. Stellt sich der Torwart aber 10 cm zu einer Seite versetzt auf, nimmt er damit dem Torschützen die Eckenwahl in 80 % der Fälle ab und weiß so 80:20, wo der Ball hingehen wird. Damit hat er seine Abwehrchancen schon deutlich verbessert.
Nach dieser Torwart-Methode lässt sich mit einem bereits besser als bei einem Anfänger trainierten taktilen Empfinden schon trefflich kämpfen. Wie es sich genau damit verhält, wird sicherlich im angekündigten und derzeit in Arbeit befindlichen Buch Großmeister Kernspechts detailliert erläutert werden.

Aber auch ohne Buch haben die Lehrgangseinheiten in Frankfurt für die WingTsun-Lehrer zum Verständnis der neuen Programmstruktur beigetragen und für alle Teilnehmer wieder reichlich Trainingsstoff beschert. Von den Schülern über die Techniker bis zu den anwesenden Meistern konnten alle profitieren.

Text: hm

Fotos: Fotolia/hm