WingTsun

Gewaltprävention und WingTsun für geistig behinderte Kinder und Jugendliche? –Teil 1

Ein Erfahrungsbericht über einen 12-stündigen Gewaltpräventionskursus im Kinderheim Finkennest in Mümling-Grumbach, einem Ortsteil von Höchst, den Susanne Rösinger, WT-Schule Michelstadt, auf Anregung und Wunsch der Heimleiterin Lore Nürnberger und ihrer WT-Schülerin Inge Trumphheller, die in diesem Heim Betreuerin ist, in den Herbstferien im Oktober 2009 durchführte. Es sollte für alle eine ganz neue Erfahrung werden!

Die Intention der Heimleitung und ihres Teams ist es generell, „ihre Kinder“ auf ein möglichst selbstständiges Leben in allen Bereichen, vorzubereiten. So war der Kursus für sie ein Versuch, Fragen dazu zu klären, ob ihre Schützlinge bestimmte grundlegende Dinge lernen können wie zum Beispiel: Wann und wie ziehen die Kinder eine Grenze, wenn es ihnen persönlich zu unangenehm wird? Normalerweise dürfen die Kinder nicht schlagen. Wann müssen sie es aber tun, um sich zu schützen? Halten die Kinder die ungewohnte „Belastung“ eines solchen Kurses überhaupt aus?
Geistig behinderte Menschen können leicht Opfer vielfältigster Gewalt werden: sei es Opfer sexueller Gewalt, Opfer von Schlägern, Opfer von Dominanz anderer Menschen oder auch von materieller Ausbeutung unterschiedlicher Art. Laut Aussage von Lore Nürnberger werden sie viel häufiger zum Opfer, als es Zahlen belegen. Aufgrund ihrer Offenheit, der Distanzlosigkeit und Gutgläubigkeit bieten sie sich als Opfer an. Gefährliche Situationen können sie schlecht einschätzen und „denkbare“ mögliche Gefahren sich nicht vorstellen.

Hintergrundwissen
Für das weitere Verständnis möchte ich ganz kurz auf die Definition und Einstufung von geistiger Behinderung eingehen (Quelle vgl.: Wikipedia).
Die Definition ist nicht ganz einfach. Es wird auch von Intelligenzminderung gesprochen. Der IQ (Intelligenzquotient) ist allerdings nicht allein ausschlaggebend zur Einstufung. Hier einige Symptome: Lernschwierigkeiten in der Schule, Verzögerung der kognitiv-intellektuellen Entwicklung im Kindesalter, herabgesetztes Abstraktionsvermögen, teilweise ist auch das Anpassungsvermögen und die soziale und emotionale Reife beeinträchtigt. Nicht beeinträchtigt ist jedoch die Fähigkeit Gefühle wie Freude, Wut oder Leid zu empfinden. Zum Teil mangelt es aber an der Fähigkeit, mit diesen Gefühlen umzugehen.
Es gibt natürlich unterschiedliche Grade der geistigen Behinderung. Die Kinder in diesem Kursus waren wohl in die Stufe leicht bis mittel einzuordnen:
• Leicht entspricht einem IQ von 50 - 69 und als Erwachsene erreichen sie ein Intelligenzalter von 9 bis unter 12 Jahren.
• Mittel entspricht einem IQ von 35 - 49. Dies entspricht einem Intelligenzalter von 6 bis unter 9 Jahren.
• Schwere Behinderung entspricht dem IQ von 20 - 34 und einem Intelligenzalter von 3 bis unter 6 Jahren. Die Betroffenen dieser Stufe
   können nicht schreiben und lesen lernen. Oft kommen noch psychosoziale Störungen hinzu.

Wichtige Vorarbeit
Vor Beginn des Kurses hatte ich mich mit meiner WingTsun-Schülerin Inge getroffen. Sie stellte mir jedes der acht Kinder bzw. Jugendlichen im Alter von 9 bis 18 Jahren, die für diesen Kursus vorgesehen waren, mit einem Bild und einer ausführlichen Beschreibung vor.
Wir sind den Grundkursus „Sicher nach Noten“ aus dem Programm von Sifu Roy Schirdewahn durchgegangen und ich habe mir das Feedback von Inge geholt, was und wie meine künftigen Kursteilnehmer/innen aufnehmen und verstehen können. Oft kam die Antwort: „Ja, das verstehen sie!“ Oder aber manches Mal auch: „Probier‘s aus!!!“

Text: Sifu Susanne Rösinger, WT-Schule Michelstadt

In der nächsten Ausgabe der WingTsun-Welt online berichtet Sifu Susanne Rösinger über das Ergebnis dieser Vorarbeiten.