WingTsun

Berlin: Falten erwünscht

In der Welt-Metropole Berlin werden immer wieder neue Trends kreiert. Falten – dieses Wort löst oft genug Angst und Schrecken vorzugsweise in der Damenwelt aus und lässt Kosmetikindustrien gut davon leben. In Berlin-Mitte wurde jetzt beim ersten WingTsun-Workshop „Technikloses WingTsun“ ein neuer Slogan in Bezug auf Falten von Großmeister Kernspecht propagiert: Falten erwünscht!

Am Freitag, 13. November 2009, wurde um 18.00 Uhr in der Schule von Meister Uwe Kopplin mit einem Gongschlag der erste aus der Reihe der angekündigten Workshops mit dem norddeutschen Großmeister des WingTsuns in der Metropole Berlin eröffnet. Zahlreiche Teilnehmer hatten sich eingefunden, um sich in die neuen Ideen ihres Großmeisters zur Unterrichtsvermittlung einweihen zu lassen.

Für die insgesamt drei Einheiten WingTsun fuhren auch Sifu Roy Schirdewahn und vier seiner Schüler bzw. Schülerinnen aus Lübeck nach Berlin, um direkt von der „Quelle“ neuen Input zu bekommen.
Marcus Kuhn, 2. TG aus Lübeck, schilderte seine Eindrücke so: „Die Variabilität der Konter Großmeister Kernspechts und seine Präzision, empfindlichste Stellen realistisch anzugreifen, aber dennoch niemanden zu verletzen, sind wirklich ein Hochgenuss! Neue Übungen, um Kräfte an sich vorbeizuführen, wurden vorgestellt und geübt. Und dabei galt: Falten erwünscht! Je nach Situation konnte es beispielsweise der Rumpf sein oder der Arm, der sich im Ellbogen faltete. Diese „Körperarbeit“ hat einerseits das Ziel, angegriffene Körperteile aus der Gefahrenzone zu bringen, und andererseits dem Schüler die Fähigkeit zu vermitteln, sein Gleichgewicht unter Fremdeinflüssen nicht zu verlieren. Dies ist eine extrem wichtige Fähigkeit; denn in der heutigen Zeit einmal am Boden angelangt, muss man im Ernstfall immer damit rechnen, lebensgefährliche Tritte zum Kopf zu erhalten.
WingTsun bedeutet aus meiner Sicht, das beständige Streben nach Verbesserung, sich Veränderungen anpassen zu wollen, also auf das sich ständig verändernde Kampfgeschehen angemessen und maßgeschneidert reagieren zu können. Eben dies ist nach meinem Verständnis der Inhalt des Workshops gewesen. Das Resultat von der Arbeit an der Weichheit, dem Reaktionstraining und dem ReakTsun, ist also nach beständigem Üben dieser relativ neuen Unterrichtsmittel, die Fähigkeit, sich dem anzupassen, was wirklich ist, also Bewusstheit zu erlangen. Keine festgelegten Abläufe können einen da jemals hinbringen, weil kein Moment dem anderen gleicht. Wie im richtigen Leben …
Das war immer das Ziel, und die ganzen Abläufe sind nur das Mittel zum Zweck, um nichts bei der Ausbildung der Schüler zu auszulassen, aber niemals der Selbstzweck. Ich verstehe also niemanden, der meint, früher wäre in Bezug auf WingTsun alles besser gewesen. Eher will ich hier das genaue Gegenteil behaupten: Niemals vorher waren die Chancen so gut, echtes WingTsun (im Sinne oben genannter Definition) zu erlernen. Und das ist der Verdienst der Innovationskraft von Großmeister Kernspecht, der sich nicht scheut, heilige Kühe zu schlachten und somit die unbequeme Wahrheit des Erich-Kästner-Zitats einmal mehr zu bestätigen: ‚Lernen ist wie Schwimmen gegen den Strom. Wer aufhört, wird abgetrieben.‘“

Der Gastgeber Uwe Kopplin (5. PG), seine Schüler und andere Berliner WingTsun-Schüler äußerten sich ebenfalls begeistert über diesen Workshop. Sie waren einhellig der Meinung, dass sie eine Menge von dem kompakten theoretischen und praktischen Querschnitt durch das ReakTsun-Programm – dem Trainingsmittel, um einen selbstentscheidenden Tastsinn für ein technikloses WingTsun zu entwickeln – profitiert haben.

Ich selbst hatte das große Glück, nicht nur in redaktioneller Mission nach Berlin gefahren zu sein, sondern auch als Teilnehmerin am Workshop. Für mich war es einmal mehr die Bestätigung, dass ich mit diesem beweglichkeitsorientierten WingTsun als Frau sehr viel besser umgehen kann als mit dem in Techniken erstarrten, wo es viel eher zu einer Kollision kommt, bei der eine Lösung durch eine beim Gegner vorhandene größere Armkraft oder Körpermasse herbeigeführt wird. Es erfordert zwar eine Menge Training, um neben einem für mich entscheidenden Tastsinn auch das notwendige Timing zu bekommen, aber diese Herausforderung reizt mich mehr als durch 100-kg-Bankdrücken verteidigungsfähig zu sein. Und mit Falten kann ich in diesem Fall auch leben!

Text: hm

Fotos: hm