EWTO

Sonntagabend in Hockenheim – Spannung, Spaß und Selbstverteidigung

Bereits am Pfingstfreitag lag was in der Luft. Immer wieder geheimnisvolles Getuschel und verschlossene Türen mit Zutritt verboten. Ab und zu drangen durch sie Musikfetzen nach draußen. Das nahm im Laufe der Tage bis Sonntag immer mehr zu. Teilweise wurde schon vor dem täglichen Unterrichtsprogramm intensiv im großen Saal der Stadthalle in Hockenheim geprobt. Schließlich sollte am Sonntagabend alles perfekt klappen…

Und dann war es soweit: Sonntagnachmittag, die letzte Unterrichtseinheit ist beendet, der Countdown läuft. Die letzten Wände sind verschoben, die Bestuhlung der Halle ist aufgebaut und um die Stadthalle herum breitet sich Stille aus. Alle sind plötzlich verschwunden, um sich für die große Abendgala zu stylen. Nur ab und zu hört man es rumpeln, klirren und klappern am großen Zelt.

Schlag 17:30 Uhr begann der Einlass für den Sektempfang mit persönlicher Begrüßung und anschließend vor dem Hintergrund der neubarocken evangelischen Kirche die erste Vorführung der Escrimadores: ein mittelalterliches Turnier zwischen zwei verfeindeten Familien bis hin zum Buhurt.

Danach ging es gleich zur nächsten Schlacht: dem Buffet. Alle waren ins große Zelt auf dem Marktplatz geströmt, in dem Tische und Bänke aufgebaut worden waren und es vier Stationen gab, an denen ein reichhaltiges Buffet angeboten wurde. Keiner musste hungrig dem weiteren Abendprogramm folgen!

Nach dieser Stärkung ging es hinüber in die dieses Mal ausschließlich bestuhlte Stadthalle zum großen Ehrungs- und Showprogramm. Das Organisationsteam hatte alle Teilnehmer im Vorfeld über ihre Sitzplätze informiert, so dass sie zügig zu ihren Plätzen gelangten, um der offiziellen Begrüßung durch Organisationschef Meister Andreas Groß zu folgen. Dass die Geburtstagsfeier wirklich international besucht wurde, sah man spätestens an diesem Abend: Alle Landestrainer und ihre Leute erhoben sich nacheinander unter Applaus. Für jedes Land gab es einen Fahnenträger, der die dazugehörige Landesfahne schwenkte. Eine schöne Geste!

Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, folgte eine Laudatio von Dr. Hans Wolfgang Neumann, dem ältesten – im Sinne von am längsten dabei – EWTO-Mitglied. Er berichtete persönlich aus den Anfangstagen und plauderte ein wenig aus dem Nähkästchen. Gegen Ende der Abendveranstaltung wurde er dann erneut zusammen mit weiteren Jubilaren, die eine 40-Jahr-EWTO-Urkunde erhielten, auf die Bühne gebeten. Die Top 4 waren neben Dr. Hans Wolfgang Neumann, Dr. Klaus Gröpper, Albrecht Engelhardt und Rainer Ott. Besonders erwähnenswert sind noch die beiden WingTsun-Meister Thomas Mannes und Rainer Tausend, die über ihre gesamte Mitgliedschaft in der EWTO aktiv WingTsun betrieben haben und hochgraduierte unterrichtende Meister sind (8. bzw. 7. MG).

Nach der Laudatio betrat Sifu André Karkalis, der kurzfristig für die eigentlich vorgesehene, aber leider erkrankte, professionelle Moderatorin einspringen musste, die Bühne, die mit sechs leeren Sesseln bestückt war. Er bat für das folgende Interview seine ersten Gesprächspartner auf die Bühne: zwei Männer der erste Stunde der EWTO – Gründer GM Keith R. Kernspecht und GM Bill Newman. Es war spannend zu hören, wie alles mit der EWTO begann, und dass ursprünglich keineswegs die Idee stand, einen solch großen professionellen Kampfkunstverband aus dem Boden zu stampfen. Das alles sei im Laufe der Jahre gewachsen und irgendwann ließ sich das Ganze nicht mehr vom „Küchentisch“ aus bewältigen. So zog ein Schritt den anderen nach sich und eines Tages stellte sich die Frage der Kontinuität für die EWTO.

GM Kernspecht schuf dafür die Grundlage, indem er sich drei recht unterschiedliche WingTsun-Meister – die damaligen Meister G. Schembri, O. König und A. Groß – ins Boot holte, denen aber etwas gemein war: die Liebe zum WingTsun und zur EWTO. Diese drei bat Sifu Karkalis dann mit auf die Bühne, wo sie sich und ihre Ziele dem Publikum vorstellten. Es wurde deutlich, dass sie ihre unterschiedlichen Prioritäten zu einem Ganzen zusammenschließen konnten, wodurch GM Kernspecht sich vom Verbandsalltag entlastet sah, so dass er sich verstärkt seinen wissenschaftlichen Forschungen und dem Bücherschreiben widmen kann.

Nach so viel Information und Applaus war es an der Zeit, ein wenig die Lachmuskeln zu aktivieren. Es hieß: „Bühne frei für Comedian und Bauchredner Kay Scheffel.“ Der an Heinz Erhard erinnernde Universalkünstler hatte sofort die Lacher auf seiner Seite und das Publikum geizte nicht mit Beifall. Das änderte sich auch bei seinem zweiten Auftritt zu fortgeschrittener Stunde nicht. Das Publikum folgte seiner Show hellwach.

Nahtlos ging es mit einer beeindruckenden Einraddarbietung von Dustin Waree von den „Showartists“ weiter. Manch einer tut sich schon schwer damit, auf seinen eigenen Füßen mit offenen Augen eine Treppe hinaufzugehen. Hier erlebte man staunend, dass es sogar mit verbundenen Augen mit einem Einrad problemlos machbar ist.

Dann wurde es futuristisch. Auf der großen Leinwand lief ein Film über einen Spezialkoffer, der um den halben Globus zu seinem Bestimmungsort gebracht werden musste. Ein gefundenes Fressen für Bösewichte, die sich den Koffer aneignen wollten. Die Jagd beamte sich durch verschiedene Länder, mit immer wieder actionreichen Kampfszenen und einem Parkourlauf.

Der Held schaffte es schließlich – just in time für die Abendveranstaltung – bis in die Stadthalle nach Hockenheim, wo es ihm gelang, den Koffer live an Meister T. Schrön zu übergeben.

Aber der Bösewicht ließ nicht lang auf sich warten und Meister Schrön sah sich gezwungen, ihm mit WingTsun endgültig Manieren beizubringen, bevor er den Koffer endlich GM Kernspecht übergeben konnte.

Jetzt stellte sich natürlich die Frage: „Wozu das Ganze?“ Doch als der Koffer geöffnet wurde und GM Kernspecht strahlte, war alles klar. Er hatte soeben ein druckfrisches Exemplar seines neuen Buches „Die Evolution des iWT“ erhalten, das er stolz dem Publikum präsentierte.

Nach dieser filmisch von Philip Mennen in Szene gesetzten wilden Jagd ging es genauso schlagkräftig weiter. Die Escrimadores hatten sich inzwischen in ein zeitgenössisches Outfit geworfen und demonstrierten, was man so alles mit einem oder zwei Stöcken anstellen kann – oder auch mit Schirm und Gehstock. Was für manche vielleicht überraschend war: Escrima funktioniert auch unbewaffnet gegen Waffen.

Meister Sascha Böhringer, der maßgeblich an der Überarbeitung der Neuauflage der Escrima-Bibel arbeitet, durfte dann noch seinem Escrima-Großmeister Bill Newman ein Exemplar davon überreichen, das dieser stolz präsentierte.

WingTsun hervorragend zur Musik choreografiert, mit Präzision und Eleganz ausgeführt, dafür steht das Demo-Team um die Sifus Cosimo My, Mark Tietz, Sven Weipert und Hakan Aslan. Sie inszenierten Kampf-Kunst auf höchstem Niveau. Selbst die Bewegungsfolge der Meister Tietz und Weipert in einem Meter Höhe auf der Pflaumenblüte – einem eigens auf der Bühne installiertem alten WingTsun-Trainingsgerät – wirkte mühelos und spielerisch.

Meister Cosimo My zelebrierte nicht nur meisterhaft den Langstock und die Doppelmesser, sondern zog auch alle Register der waffenlosen Selbstverteidigung mit WingTsun. Allerdings durfte ebenfalls Frauenpower und WingTsun mit einem Augenzwickern, wofür Meister Hakan Aslan mit seiner Truppe sorgte, nicht fehlen.

Nach Abschluss dieser furiosen WingTsun-Show gab es viel Applaus und GM Kernspecht erklomm spontan die Bühne, um sich bei jedem Einzelnen zu bedanken. Damit verwirrte er dann zeitweise den als Schlussakkord der Show vorgesehenen Rapper. Die Musik setzte für ihn ein und nichts ging … Doch der Blackout war nur von kurzer Dauer und Maxz konnte das eigens von ihm geschriebene „Geburtstagsständchen“, den EWTO-Song, doch zu Gehör bringen.

Zwischendurch gab es auch noch etwas zu gewinnen: Verlost wurde an einem Schulleiter ein schwarzer Smart mit EWTO-Design zur Nutzung für ein Jahr. Der glückliche Gewinner wurde von Glücksfee Emi ermittelt: Franko Martin. Er darf nun ein Jahr lang mit dem EWTO-Smart auf sich aufmerksam machen.

Dieses Mal traten die vielseitigen „Showartists“ als Dolls Company auf, während sie beim Sektempfang bereits als Doppelcop Aufsehen erregt hatten. Aber wie man aus eins zwei macht auf der Bühne und in einem Tänzchen über die Bühne wirbelt, war schon beeindruckend.

Der im Vorfeld geheimnisvoll als „Der Saarländer“ angekündigte Showstar entpuppte sich schließlich auf der Bühne als der bekannte Mentalist Torsten Havener. Er verblüffte das Publikum u.a. mit Auszügen aus seinem Bühnen-Programm „Der Körpersprache-Code“. Es war faszinierend, wie er aufgrund von körpersprachlichen Indizien, einen Mordfall aufklärte. Er ordnete allen fünf Beteiligten aus dem Publikum ihre per Zufall ermittelte Rolle richtig zu, indem er ihre alltägliche Körpersprache las.

Havener selbst beschreibt es schmunzelnd so: „Meine Leidenschaft ist das Entertainment. Ich will, dass die Leute nach der Show sagen: ‚Ich weiß zwar nicht, was es war, aber es hat mir einen Riesenspaß gebracht – und ab morgen achte ich besser auf die nonverbalen Signale meiner Mitmenschen.‘“ Klingt das nicht verdächtig nach WingTsun …?!?

Die letzte WingTsun-Demo des Abends bestritt das Team aus Armenien. Sie zeigten Kampfszenen mit und ohne Waffen und wirbelten dermaßen über die Bühne, dass die Fotografen kaum hinterherkamen mit dem Fotografieren.

Eingestreut zwischen die Showeinlagen gab es außerdem noch einige Urkundenverleihungen an EWTO-Meister.

Zum 5. MG wurden ernannt Sifu Gaby Schembri und Sifu André Sonntag. Ihren 6. Meistergrad erhielten Bodo Seibold und Lutz Trabert. Dann gab es für diesen Abend eine letzte Urkunde zu überreichen. Alle waren warteten gespannt, wer sie erhalten würde. „Ich ernenne hiermit Meister Thomas Schrön zum 9. Großmeistergrad …,“ und augenzwickernd fügte GM Kernspecht hinzu, „… dafür, dass er mein Buch gerettet hat!

Diese Ankündigung brachte den Saal zum Kochen. Mit „Standing Ovations“ wurde der Haupttrainer an der EWTO-Trainerakademie Heidelberg gefeiert. Es war Gänsehaut-Feeling pur – nicht nur für den frischgebackenen 4. EWTO-WingTsun-Großmeister, der sichtlich gerührt um seine Fassung rang. Aber das machte ihn nur sympathischer und ließ ihn noch weiter in der Gunst des Publikums steigen, das frenetisch applaudierte und damit seine vollste Anerkennung bekundete.

Jedoch verteilte an diesem Abend GM Kernspecht nicht nur Ehrenurkunden, sondern er wurde auch selbst ausgezeichnet: Prof. W. Cynarski verlieh ihm für außergewöhnliche Verdienste in der Kampfkunst die „Medal for Extraordinary Achievements in Martial Arts“. Auch Prof. V. Margaritov meldete sich zu Wort und überbrachte seine Geburtstagsglückwünsche.

Zum Abschluss des Mammutprogramms dieses Abends hatte dann Patrick Meißgeier – wie in den letzten Jahren – wieder seinen Auftritt: Er führte die Polonaise mit allen Tanzwütigen in die Disko in der Mehrzweckhalle, wo Bar und DJ Maxim bis in den frühen Morgen für Partylaune sorgten.

Fazit des Abends: Das war ein einer 40-Jahr-Feier ausgesprochen angemessenes Programm, bei dem alle auf ihre Kosten kamen. Wie soll das noch getoppt werden? Aber ich bin sicher, das EWTO-Organisationsteam wird es schaffen. Wir sehen uns in zehn Jahren bei der 50-Jahr-Feier wieder und werden dies überprüfen …
 

Text: hm
Fotos: mg