EWTO

Erweitertes Seminarangebot an der Trainerakademie Schloss Langenzell

„Kampfkunst und Strafrecht – zwei Welten begegnen sich! Strafrechtliche und strafprozessuale Hinweise zum Umgang mit Justizia, insbesondere zum Notwehrrecht in der Selbstverteidigung“ so lautete der Titel des ganztägigen Seminars, das Staatsanwalt P. K. und Rechtsanwalt Dr. Arnd Stiel für eine überschaubare Gruppe WT-Lehrer vorbereitet hatten. Wer schon befürchtet hatte, dass er sich mehrere Stunden lang durch eine trockene Paragraphenwüste schleppen müsste, wurde – zum Glück – enttäuscht.

Den beiden Juristen gelang es in verblüffend lockerer und leicht verständlicher Weise einen Einblick in die komplizierten Abläufe und Zusammenhänge vor Gericht zu geben.

Zwar eignen sich WT-ler in jahrelangem Training die entsprechenden körperlichen Fähigkeiten an, um in der Lage zu sein, sich zu verteidigen. Doch genauso wie man sich auf diese körperliche Auseinandersetzung im Verteidigungsfall vorbereitet, so sollte man sich im Vorfeld auf eine geistige Auseinandersetzung einlassen, die von existenzieller Bedeutung sein kann: Auch die Strafverfolgungsorgane müssen sich ein Bild von der Unschuld des Verteidigers machen können. Dazu gehört das richtige Verhalten vor, während und nach einem überstandenen Angriff. Sie allein haben es in der Hand, die richtigen Weichen zu stellen. Auch wenn GM Kernspecht mit der Einführung der BlitzDefence-Programme genau diesem wichtigen Umstand bereits bei der Ausbildung der untersten Schülergrade Rechnung trug und die zukünftigen Übungsleiter und Trainer in den Grundlagen des Notwehrrechts geschult werden, ist es dennoch ein Schritt in die richtige Richtung, wenn WT-Lehrer auch über ein fundiertes rechtliches Wissen in diesem Zusammenhang verfügen.

Speziell und ausschließlich für die EWTO hatten die beiden Juristen ein ganzes Bündel praktischer Informationen zusammengetragen, die im Ernstfall hilfreich sein können, umd sich im Paragrafendschungel zurecht zu finden und auch hier eine realistische Verteidigung zu ermöglichen. Während des Seminars wurden u.a. folgende Themen angesprochen:

Einführung – Strafrecht

  • Normenpyramide und Bedeutung
  • Systematik StGB und Grundbegriffe
  • Deliktsaufbau - § 223 StGB
  • Folgerungen

Einführung – Strafprozessrecht

  • Organisation der Strafverfolgungsbehörden und Aufgabenverteilung im Strafverfahren
  • Rechtliche Grundlagen des Strafverfahrens, insbesondere Rechte der Zeugen und Beschuldigten
  • Psychologie des Strafverfahrens

Erlaubnissätze mit Schwerpunkt Notwehr

  • Überblick über die Erlaubnissätze
  • Aktuelle Rechtsprechung zur Notwehr/Nothilfe
  • Konsequenzen für Kampfkünstler

Strafprozessuale und zivilrechtliche Tipps

  • Die ersten Schritte nach einem überstandenen Angriff?
  • Reden oder Schweigen? Unschuldsvermutung?
  • Kooperation oder Konfrontation?
  • Fallstricke verschiedener Verteidigungsstrategien
  • Schadenersatz
  • Strafzumessung

Damit die Aufmerksamkeit der Teilnehmer nicht durch einen Mitschreibmarathon völlig in Beschlag genommen wurde, hatte die Referenten ein exklusives Skript vorbereitet, in dem sie die Inhalte des Seminars optimal zusammenfassten. Professioneller und effizienter kann man Wissensvermittlung zu einem derart komplexen und speziellen Thema nicht gestalten.

Am darauffolgenden Sonntag stand dann mehr Praxis auf dem Plan, als Sifu Lars Lipke, 4. TG WT, zum Thema „Techniken und Taktiken bei Schusswaffenbedrohung" referierte. Sicherlich ist es in unseren Breitengraden unwahrscheinlicher, mit einer Schußwaffe bedroht zu werden, als in krisenreicheren Regionen dieser Welt, aber dennoch ist die Möglichkeit für niemanden auszuschließen. Da viele WT-Lehrer auch zahlreiche Angehörige besonders gefährdeter Berufsgruppen wie Polizei, Militärangehörige oder private Sicherheitsdienste unterrichten, sollte auch eine gewisse Kompetenz zum Thema Schusswaffen vorhanden sein. Zumal ja auch „Otto-Normalverbraucher" sich durchaus plötzlich mit einer scharfen oder aber auch nur einer Gasschußwaffe konfrontiert sehen. Letztere sind nach wie vor frei erhältlich und können im Nahbereich ebenso tödlich wirken wie eine „echte" Schusswaffe.

Obwohl einige der Seminarteilnehmer bereits Vorkenntnisse im Bereich Schusswaffen mitbrachten, Sifu Peter Maull, 5. PG WT, ist z.B. seit mehr als 20 Jahren begeisterter Sportschütze, musste Sifu Lars Lipke davon ausgehen, dass die meisten ihre Kenntnisse über Wirkungsweisen von Schußwaffen aus Hollywoodfilmen beziehen und er deswegen zunächst einige Aufklärungsarbeit leisten musste, bevor man sich ernsthaft mit Möglichkeiten zur Abwehr von Schusswaffenangriffen beschäftigen konnte. Sifu Lars primäres Anliegen war es zunächst die Teilnehmer zu sensibilisieren für die tatsächlichen Funktions- und Wirkungsweisen der unterschiedlichen Schußwaffen. Daher wurden zunächst in einem kurzen Theorieblock die gängigen Kurz- und Langwaffen technisch erklärt und gezeigt, sowie die Geschosswirkung im Zielmedium und die jeweilige Durchschlagskraft behandelt. Um letzteres zu veranschaulichen, zeigte er einige Bilder von Schussverletzungen, die mitunter nichts für schwache Nerven waren, aber unmißverständlich klarmachten, dass der Versuch, eine Schusswaffe abzuwehren, nur dann erfolgen darf, wenn ein höheres Gut als die eigene Brieftasche in Gefahr ist. Während der darauffolgenden praktischen Übungen beschäftigten sich die Seminarteilnehmer mit der Abwehr von Schusswaffen aus allen Richtungen, wobei größter Wert darauf gelegt wurde, die Gefährdung für sich und Unbeteiligte so gering wie möglich zu halten. Daher endete die jeweilige Technik auch nicht, wenn die Waffe nicht mehr auf den Verteidiger zeigte und dieser dem Angreifer einige Schläge versetzt hatte. Stattdessen wurde, den Bedürfnisse des einzelnen Seminarteilnehmers entsprechend, die Aktion bis zu dem Punkt fortgesetzt, an dem der Verteidiger die volle Kontrolle über die Situation erlangt hatte.

Das praktische Training erfolgte mit speziellen funktionslosen Trainingswaffen, die den Abmessungen verschiedener gebräuchlicher Schußwaffen exakt entsprachen. Zum Abschluss konnten die Teilnehmer testen, ob sie mit den gelernten Techniken tatsächlich einen Angriff mit einer Schusswaffe abwehren könnten. Sifu Lars bedrohte jeden einzelnen mit einer sogenannten „Soft-Air"-Pistole, mit der leichte Plastikkugeln verschossen werden können. Dabei wurde schnell klar, dass es im Ernstfall sehr schwierig wäre, unverletzt davon zu kommen, wenn man sich gegen einen geübten und zum Schuss entschlossenen Angreifer mit einer Waffe bedroht werden würde. Das bedeutet aber keinesfalls, dass das Seminar, deswegen als überflüssig gewertet werden müsste. Ganz im Gegenteil – genau diese Erkenntnis der Teilnehmer, nämlich kaum eine Chance gegen einen Schusswaffenangriff zu haben, ist für Sifu Lars Lipke das eigentliche Ziel seiner Veranstaltung. Gemäß dem Motto: „Du hast keine Chance, nutze sie!"

Zwei Tage Fortbildung, die es in sich hatten: Interessant, abwechslungsreich, überraschend, aufregend. Alle Teilnehmer, viele hatten beide Seminare besucht, waren restlos begeistert. Mit der Absicht, sich nicht nur im WingTsun ständig weiter zu bilden, um ihren Schülern umfassendes Wissen aus einer Hand bieten zu können, waren die WT-Lehrer angereist und ihre Erwartungen wurden erfüllt und übertroffen. Eine Wiederholung sollte nach einhelliger Meinung sobald wie möglich ins Auge gefasst werden.