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Eberhard Schneider: Subliminale Botschaften und der BND Ungewöhnliche Einsichten und Ansichten

Unser Krafttrainingautor Eberhard Schneider teilte uns mit, dass er ratlos sei, ob er sich für Pickelattacken oder Neurodermitis entscheiden solle. Bei seinem Nostalgie-Gedicht in der neuen WT-Welt sei ihm nämlich von der Redaktion ein Reim kaputt geschossen und abgemurkst worden. Unser tief empfundenes Beileid ist ihm gewiss. Zur Wiedergutmachung zeigen wir die richtige Fassung am Ende des Interviews:

WT-Welt: Dein Krafttrainingsbuch ist über fünfundzwanzig Jahre auf dem Markt und hat sechzehn Auflagen erreicht. Das ist ziemlich ungewöhnlich. Möchtest du dich dazu äußern?

Schneider: Die gleiche Frage ist mir schon bei der fünften oder achten Auflage gestellt worden, aber das ist schon ein paar Jahre her. Na klar, ich freu mich.

WT-Welt: Hast du eine Erklärung für den Erfolg?

Schneider: Nicht nur eine. Mehrere. Erstmal hat mein Verleger einen langen Atem, ohne den wäre so eine Entwicklung zum Longseller gar nicht möglich. Dann habe ich mit meinem Schreibstil den Geschmack der Leserzielgruppe getroffen, das ist mir schon mehrmals gesagt worden. Drittens biete ich viele Informationen, die ich selber mit zwanzig, fünfundzwanzig Jahren nirgends finden konnte. Das heißt, es ist nicht eines der üblichen Muskelpropagandatraktate mit Hochglanzfotos und dem Verkauf dubioser Mittelchen. Bei mir geht es um Wissensvermittlung und um kritisches Hinterfragen, ich schneide praktisch Breschen in den Werbemurks. Und schließlich hat wohl auch mein ganz eigener pädagogischer Ansatz mitgeholfen, die Akzeptanz zu beflügeln.

WT-Welt: Pädagogischer Ansatz? Was meinst du damit?

Schneider: Mein Kraftwerk funktioniert sozusagen auf zwei Ebenen. Vordergründig liefer ich die Sachinformation, die dem Leser die Aha-Erfahrungen bringt. Aber in dem Ganzen steckt auch eine subliminale Botschaft, die nebenbei mit aufgenommen wird. Wenn du den Aufbau mal unter diesem Gesichtspunkt anguckst, stellst du fest, dass ich den Leser wegleite von der jugendlichen Hau-drauf-Mentalität und hin zu einer umfassenden Kontrolle seiner persönlichen Lebensführung. Das wird offenbar von vielen als Hilfe für die eigene Standortbestimmung empfunden. Die merken, dass da Struktur ins diffuse Denken kommt, und dementsprechend positiv sind die Rückmeldungen.

WT-Welt: Wie viele Rückmeldungen hast du denn bekommen?

Schneider: Kann ich nicht mehr zählen. Ich habe zwei Schrankregale voll, davon könnte ich im Grunde ein neues Buch machen.

WT-Welt:  Und willst du?

Schneider: Ein Buch voller Lobpreisungen? Vielleicht mit dem Titel „Hosianna“? Nicht wirklich. Ich finde viel besser, dass die ganze Entwicklung ohne künstlich aufgebauschte Kontroverse zustande gekommen ist.

WT-Welt: Was meinst du mit künstlich aufgebauschter Kontroverse?

Schneider: Also, ich hab schon vor Jahrzehnten irgendwo gelesen, da war ich wohl noch Student, wie sich Zeitungsredakteure hinsetzen und überlegen, welche Null-Meldungen sie zu einer Kontroverse aufblasen können, damit höhere Auflagen verkauft werden. Ein paar Jahre später konnte ich in einem Kampfsportmagazin ein Artikelchen unterbringen im Austausch gegen den Abdruck meiner Buchanzeige. Aber dann hat man mich da als Braungurt oder Schwarzgurt vorgestellt, und das war einfach Quatsch. Ich habe den Redakteur angerufen und bin aus allen Wolken gefallen, die wollten damit eine Kontroverse anschieben oder zumindest billigend in Kauf nehmen. Die fetzige Stimmung war sozusagen das Ticket zu mehr Lesern. Der hat mir praktisch die Pistole auf die Brust gesetzt – entweder ich würde damit leben oder der Deal mit meiner Anzeige wäre hinfällig. Das ist jetzt nicht wörtlich, das ist dem Sinne nach.

WT-Welt: Wie hast du dich verhalten?

Schneider: Ich hab nichts mehr geliefert.

WT-Welt: Aber das muss doch lange her sein ...

Schneider: Zwanzig Jahre.

WT-Welt: ... damit fängt man doch heute keine Leser mehr ein.

Schneider: Schön war's ja, stimmt aber nicht. In den Muskelmagazinen von Joe Weider sind immer wieder ganz normal befreundete Trainingskumpel als verbissen konkurrierende Gegner dargestellt worden, da wurden Animositäten und Streitereien vorgegaukelt, wo gar keine waren. Und der Auflagenerfolg hat den Schreibtischtätern recht gegeben. Denk mal an den angeblichen BND-Skandal, wo zwei oder drei Mitarbeiter nach Bagdad geschickt wurden, um ungefilterte Informationen aus erster Hand einzuholen. Der Bundesnachrichtendienst hat der Bundesregierung mit Nachrichten gedient. Ganz normales Prozedere, hätte ich genauso gemacht. Aber was Normales gibt eben nichts her für fette Schlagzeilen, also haben ein paar Journalisten die Legitimität in Frage gestellt und dazu noch dunkle Mutmaßungen über aktive Kriegsbeteiligung angestellt. Die haben das wie Backhefe mit reingemischt, und dann konnte aus dem kleinen Vorgang eine große Kontroverse werden. Aus meiner Sicht war da unheimlich viel heiße Luft drin. Na ja, und es hat wieder mal geklappt, die Medien hatten monatelang gut davon, und ein paar Volksvertreter konnten sich auch sehr schön profilieren – mit sittlicher Entrüstung und moralischem Getöse.

WT-Welt: Was hat das mit deinem Buch zu tun?

Schneider: Ich will sagen, das mit der Kontroversenbildung funktioniert nach wie vor. Konflikte ziehen nun mal mehr Aufmerksamkeit auf sich als so ein seichtes Dahinplätschern. Spannungen und Krisen wirken oft als Publikumsmagnete, die lassen sich publizistisch oder politisch oder einfach monetär nutzen. Ich bin heilfroh, dass ich von sowas unabhängig bin und dass ich mein Thema ohne extra inszenierte Motzerei unters Volk bringen konnte. Na ja, was heißt unters Volk. Das sind große Worte, von den Harry Potter-Auflagen kann ich nicht mal träumen, davon bin ich Lichtjahre entfernt.

WT-Welt: Was hat dich denn eigentlich dazu veranlasst, ein Krafttrainingsbuch zu schreiben?

Schneider: Da hat es im Laufe der Jahre mehrere Faktoren gegeben. Einer davon war, dass damals exakt so ein Buch fehlte, es gab praktisch eine Marktlücke, und ich hatte die Voraussetzungen, die Lücke zu füllen. Jedenfalls als Autor. Der Vorschlag und die Finanzierung kamen vom Verleger. Aber die ersten Wurzeln sind schon im zarten Alter von zwölf, dreizehn Jahren angelegt worden. Da habe ich die Herkulesfilme mit Steve Reeves und Sylva Koscina gesehen. Mann, war ich hin und weg. Die haben mich so beeindruckt, von dem Trip bin ich im Grunde nie wieder runter gekommen.

WT-Welt: Aber man entwickelt sich doch weiter.

Schneider: Klar, weiß ich. Und da gibt es eben auch die Möglichkeit, dass so eine frühpubertäre Prägung mit starker Faszination und Neugier assoziiert ist, woraus dann weitergehende Interessen erwachsen, und die können sogar zu beruflichen Weichenstellungen fuhren. Bei den einen ist es was Technisches, bei anderen was Organisatorisches oder Musisches oder Handwerkliches. Bei mir war es am Anfang die naive Vorstellung vom Stark-und-edel-sein-wollen, und das ist später in Leistungsphysiologie im weiteren Sinne gemündet. Dafür habe ich alles gelesen, von Muskelmagazinen über Läuferjournale bis zu sportmedizinischen Fachbüchern aus Universitätsbibliotheken.

WT-Welt: Das merkt man deinem Buch aber nicht an.

Schneider: Logisch, soll man ja auch nicht. Ich hab dabei ja auch nie das Ziel verfolgt, mich in höheren wissenschaftlichen Kreisen hervorzutun. Meine Leitmotive waren „Isolierung einer Schwierigkeit" und „Weniger ist mehr". Sowas kommt aus der Lernpsychologie. Da geht es ums richtige Parzellieren und Runtertransformieren von komplexen Sachverhalten auf eine Verständnisebene, die von jugendlichen Lesern gerne akzeptiert wird. Mit dem Fachchinesisch von wissenschaftlichen Abhandlungen empfiehlt man sich für eine akademische Karriere. Der achtzehn- oder zwanzigjährige Interessent hat gar nichts davon.

WT-Welt: Könntest du denn auch ein wissenschaftlich anspruchsvolles Standardwerk schreiben?

Schneider: Nur theoretisch. Praktisch fehlt mir dazu jede Motivation. Die ganzen eingängig gemachten Formulierungen wieder auf ein wissenschaftlich erlauchtes Sprachniveau anheben und die vereinfachenden Analogien wieder verakademisieren – wozu, wenn das nachher sowieso kein Aktiver liest? Ein stilistischer Entsaftungsprozess für nichts und wieder nichts. Schreckliche Vorstellung. Völlig abwegig. Außerdem habe ich ein neues Interessengebiet und bin anderweitig beschäftigt.

WT-Welt: Verrätst du uns Genaueres?

Schneider: Also, ich hab's seit fünf oder sechs Jahren mit den heroisch schimmernden Athleten und berückend proportionierten Damen in Marmor und Bronze. Da hat sich ein ganzes Universum von neuen Eindrücken aufgetan. Oder vielleicht auch nur neue Varianten von alten Eindrücken. Ich gehe nämlich davon aus, dass da immer noch die Konditionierung durch die Sandalenfilme in den fünfziger und sechziger Jahren wirksam ist. Na ja, jedem seine irrationale Nische.

WT-Welt: Sammelst du Statuen?

Schneider: Nein. Die ich wirklich toll finde, sind jenseits meiner Einkommenssteuerklasse. Aber ich fahre und fliege herum, auch ins Ausland, und mache viele Fotos. Bloß, damit kommen wir in ein anderes Gebiet, das ist für unsere jugendliche Klientel wohl kaum von Bedeutung. Wenn ich davon was erzähle, sind wir in zwei Stunden noch im Gange. Lass uns hier mal Schluss machen.

WT-Welt: Ja, gleich. Letzte Frage. Trainierst du noch?

Schneider: Na klar, das fühlt sich immer noch unheimlich gut an, darauf will ich nicht verzichten. Allerdings – ich hab mir bei einer missglückten Fallschirmlandung den unteren Rücken in Sülze verwandelt, deshalb gehe ich nicht mehr auf Leistung. Mein Maßstab ist jetzt das persönliche Wohlbefinden.

WT-Welt: Kannst du das näher erläutern?

Schneider: Kann ich schon, aber wofür? Was ich mir persönlich ausgetüftelt habe, ist ja vor dem Hintergrund persönlicher Notwendigkeiten entstanden. Leute, die dreißig Jahre jünger sind, haben zu solchen Überlegungen gar kein Verhältnis. Um das mal abzukürzen: Wenn dir der Körper veränderte Bedingungen signalisiert, wäre es ein typischer Fall von „nichts dazugelernt", wenn du genauso weiter trainierst wie vorher. Das könnte dann schnell zu einem one-way ticket zum Orthopäden werden, und sowas kann ich mir glatt verkneifen.

WT-Welt: Hast du noch Kontakt zur Muskelszene?

Schneider: Nein danke, kein Interesse. Ich brauch bloß in so ein neues Bodybuildingmagazin vom Bahnhofskiosk zu gucken, dann kommt mir fast das Essen hoch. Die Szene ist derart aus dem Ruder gelaufen, also, ich bin froh, dass meine Interessenprägung vierzig, fünfzig Jahre vorher stattgefunden hat. Die heutige Szene empfinde ich als versaute Drogensubkultur. Und ich würde jedem Jugendlichen dringend davon abraten, da einzusteigen. Ich bin auch sehr froh, dass unser Sohn nach anfanglichem Interesse zu anderen Wertmaßstäben gefunden hat.
WT-Welt: Was hältst du denn von den Appellen in der Presse und im Fernsehen, den Spitzensport sauber zu machen?

Schneider: Vergiss es. Das Dopinggeschäft ist eine millionenschwere globale Industrie mit vielen Verzweigungen, mittlerweile gibt es auch eine Anti-Doping-Industrie, die beiden Lager umkreisen sich als Symbionten und befruchten sich gegenseitig – finanziell, meine ich. Sowas Riesiges kann keiner mehr abwürgen. Will man ja auch gar nicht. Wer ein bisschen Ahnung hat, kann bei großen Sportveranstaltungen sofort die anabolisierten Muskulaturen erkennen und die Steroidakne. Keiner geht direkt dahin und pickt die Leute raus. Aber weißt du was? Es gibt eine prima Möglichkeit, dem ganzen Sumpf zu entgehen – persönliche Entsagung. Man kann sich vollknallen, bis man psychisch abdreht und anfängt Blut zu pinkeln, aber man kann es auch lassen und geistig und körperlich gesund bleiben. Freie Wahl in diesem unserem Lande.

WT-Welt: Allerletzte Frage. Ist dir bewusst, dass du im Gespräch einen auffalligen Nominalstil hast?

Schneider: Donnerwetter. Das hab ich jetzt nicht erwartet. Ja, ist mir bewusst. Das liegt daran, dass ich vieles schon mal vorher in Briefen schriftlich formuliert habe. Das ist quasi programmiert und abrufbar.



Nostalgie

Wie hat mein Jungenherz gebrannt,
Als Herkules die Säulen stürzte!
Auch fand ich rasend interessant,
Wenn Iole kess ihr Röckchen schürzte.

Der Held war stark und edelmütig,
Verströmte Kraft bei jedem Schritt,
Die Königstochter sanft und gütig,
Ihr Körper reinstes Dynamit.

Voll Inbrunst flehte er im Regen,
Dass es der Liebsten wohl ergeh’.
Auch mir war sehr an ihr gelegen
Und an dem tiefen Dekolleté.

Nun sind die Götter hingestorben,
Steve Reeves, Mark Forest und Reg Park.
Was darauf folgte, ward verdorben,
Nur aufgeschäumter Pharmaquark.